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Hier noch nen guter Artikel zum Thema…aus der heutigen Ausgabe der TAZ:
Der polierte Patriot
von THOMAS WINKLER
Als David dereinst gegen Goliath ins Feld zog, konnte er sich nur auf eine Steinschleuder verlassen. Als George Bush Jr. sich auf die Jagd nach Ussama Bin Laden machte, standen ihm Milliarden Dollar teure Waffen zur Verfügung. Als Bruce Springsteen dem Terror die Stirn bot, spielte er immer noch dieselbe 20-Dollar-Gitarre wie dreißig Jahre zuvor.
So ist es gewesen, so wird es immer sein. Bevor der Mann zum Helden wird, muss noch die heroische Tat vollbracht werden. Vor der Tat aber steht die Geschichte, die später dann zur Legende wachsen soll. Jeder Held braucht eine Legende. Auch Bruce Springsteen.
Unseren Helden erreichte sein Ruf wenige Tage, nachdem der Himmel sich verdunkelt hatte. Man schrieb den September des Jahres 2001, als an der Küste New Jerseys in der kleinen Stadt Sea Bright ein Automobil hielt neben dem Gefährt des Mannes, den sie den Boss nannten. Als ein Fenster heruntergekurbelt wurde. Als der Ruf eines anonymen Amerikaners erklang: „Wir brauchen dich!“ Als der, den der Ruf ereilte, seine Mission erkannte. Also sprach er: Es ist gut, einen Job zu haben, und schritt zur Tat – direkt in ein Tonstudio.
Nun gut, Legenden kommen heutzutage arg lakonisch daher im Vergleich zu biblischen Zeiten. Aber die Aufgabe war keine beiläufig zu erledigende: Denn Boss Springsteen erhörte nichts weniger als den Ruf des sich grämenden amerikanischen Volkes. Das Ergebnis ward vom Meister „The Rising“ genannt und erscheint weltweit am kommenden Montag. Die gleichnamige Single ist bereits seit fünf Tagen auf dem Markt. In ihr begleitet Springsteen die Opfer des 11. September auf ihrem Weg in eine bessere Welt, ins Paradies: „There’s spirits above me and behind me / Faces gone black, eyes burnin‘ bright.“
Als hingebungsvoller Kartograph der amerikanischen Psyche hat sich Springsteen dereinst seinen Status ersungen. Dieses Mal gab es einiges zu vermessen: Jeder der 15 Songs auf dem Album, das mit 73 Minuten nahezu die insgesamt mögliche Spielzeit einer CD ausschöpft, beschäftigt sich mit 9/11 und den Folgen. Springsteen beschreibt sie vor allem als einen Verlust. Und das ebenso ausdauernd, wie er früher den Niedergang der Arbeiterklasse, den Zusammenbruch sozialer Strukturen in der Provinz und den Ausverkauf amerikanischer Werte aus der Sicht der Modernisierungsverlierer beschrieben hat. Nun schlüpft er in, so scheint es, alle verfügbaren Rollen, die die Katastrophe zu bieten hat: In „Waitin‘ on a Sunny Day“ lässt er jemanden auf Nachricht von der Liebsten warten, in „Countin‘ On A Miracle“ die hinterbliebene Familie auf ein Wunder hoffen, in „You’re Missing“ schlüpft er in die Rolle einer Soldatenbraut, deren Mann im Krieg gegen den Terror fern von zu Hause weilt. In „Paradise“ schließlich nimmt Springsteen gar die Gestalt eines Selbstmordattentäters an.
Vor allem aber werden auf „The Rising“ Denkmäler gesetzt: Den Feuerwehrleuten, die ins brennende World Trade Center stürmen, um Hilfe zu leisten („Into the Fire“); den verzweifelten New Yorkern, die in den Stunden nach dem Unglück orientierungslos durch die Straßen ihrer Stadt taumeln und in einen leeren Himmel starren („Empty Sky“); dem unbekannten Broker, der unter den Trümmern begraben liegt („Nothing Man“); und natürlich der Stadt selbst, die sich mit Hilfe des Herrn wieder aus den Ruinen erheben möge („My City Of Ruins“, übrigens der einzige bereits vor dem 11. September geschriebene Song).
Der mittlerweile 52-jährige Springsteen hat im Umfeld des Desasters die Helden des Alltags gefunden, die ihn immer schon fasziniert haben und als deren Sprachrohr er sich stets verstanden hat. In den frühen 80er-Jahren war Springsteen gar zwei Jahre lang inkognito durchs Land gereist, um ihre Geschichten zu recherchieren. So wurden seine Songs über all die Jahre zu Symptomen für den Zustand von God’s Own Nation. Bob Dylan war sicherlich ein bedeutenderer Lyriker, Springsteens zweites großes Vorbild Woody Guthrie bestimmt der politisch Mutigere, Neil Young womöglich musikalisch relevanter, aber niemals war Amerika so sehr bei sich wie in den Songs von Springsteen – und das in all seinen Widersprüchen. Das gute Amerika und das böse führten auf seinen Platten einen steten Dialog. Zwischen Mythos und Realität, zwischen Sehnsucht und Enttäuschung, zwischen persönlicher Freiheit und individueller Niederlage blieb viel Platz für Ausgestoßene und Arbeitslose, Massenmörder und Patrioten, Vietnamveteranen und andere Verlierer, urbane Cowboys und provinzielle Kleinbürger.
Bereits mit dem verstörenden „Nebraska“-Album, allerspätestens nach dem Schock von „Born in the USA“, als ein staatsfern intendierter Song von Ronald Reagans Wahlkampagne zu einer patriotischen Hymne umfunktioniert und das dazugehörige Album sein größter kommerzieller Erfolg wurde, entwickelte Springsteen einen neuen, zunehmend kritischeren Blick. Es folgte das Ende der E Street Band, das aus der Sicht eines Aids-Kranken geschriebene „Streets of Philadelphia“ und schließlich sein letztes Album „The Ghost of Tom Joad“, eine düstere Bestandsaufnahme der USA nach den Reagan-Jahren.
Der neue Springsteen war endgültig etabliert mit „American Skin (41 Shots)“. Für den Song über den afrikanischen Immigranten Amadou Diallo, der Polizeigewalt zum Opfer fiel, erntete er vor ziemlich genau einem Jahr stürmische Proteste von Polizeivertretern und Pfiffe aus einem Publikum, das ihn eigentlich abgöttisch verehrte. Aber: Diese stringente Entwicklung zum Politbarden hat er nun unterbrochen. Für „The Rising“ blickt er auf ein Neues tief in die Seele der Nation. Und dort ist kein Platz mehr für Kritik.
So versucht Springsteen zumindest den Zwischenton neu zu etablieren. In der fast schon fröhlichen Gospel-Adaption „Mary’s Place“ werden Buddha, der Prophet und elf Engel als Zeugen verpflichtet, die gemeinsam „seufzen über dieses schwarze Loch in der Sonne“. Hauptsache, man glaubt an irgendwas Göttliches, dann wird schon alles gut. In „World’s Apart“ schließlich signalisiert er Versöhnungsbereitschaft, während modische arabische Klänge sich gegen Breitwandgitarren zu behaupten versuchen: „I’ll meet you on the bridge / Between these world’s apart.“ Dabei reflektiert dieser Song weit weniger die politischen Ursachen und globalen Hintergründe des Attentats, als dass er die in den USA vorherrschende Überraschung dokumentiert, dass es tatsächlich noch Kulturen auf diesem Erdball gibt, die den american way of life gar nicht so attraktiv finden.
So gesehen ist Springsteen der perfekte Biograf des amerikanischen Traums und seines Scheiterns. Als Teil dieser Aufgabe funktioniert auch „The Rising“ und die darauf dokumentierte, geradezu verzweifelte Religiösität. Musikalisch allerdings ist die Platte nicht im Entferntesten die von den Fans nervös erwartete, gloriose Rückkehr der E Street Band, mit der Springsteen seit 1984, seit „Born in the USA“, kein komplettes Album mehr aufgenommen hatte. Weder der immer ein wenig verschleppte Stomp der Band um Saxofonist Clarence Clemons, Gitarrist Steven van Zandt und Trommler Max Weinberg, noch die nervös hüpfenden Keyboards oder die sich wie von selbst steigernden Song-Dramaturgien sind auf „The Rising“ zu finden. Stattdessen hat Produzent Brendan O’Brien (Pearl Jam, Korn, Rage Against the Machine) eine der letzten echten Rockbands mit einem klar erkennbaren Sound so glatt poliert, dass sie sich widerspruchslos ins Format-Radio fügt und wie ferngesteuert einem international abgesicherten Rockdiskurs zu gehorchen scheint. Ein Großteil der Songs schleppt sich träge in einem mittelschnellen Tempo daher und Newsweek diagnostizierte prompt „opportunistischen Kitsch“.
So hat sich der Kreis geschlossen, und Springsteen ist nun auch musikalisch wieder zurück in den riesigen Stadien, die er bereits vor Jahrzehnten bespielte. Aber: Mit „The Rising“ sind Last und Bürde des Daseins als Boss noch lange nicht abgedient. Fortan müssen die heilenden Hände des Rock ’n‘ Roll im ganzen Land aufgelegt werden. Am 7. August beginnt die Zeit von Bruce Springsteen and the E Street Band als Wanderprediger und Apostel. Der Start der Tour findet statt in – natürlich – New Jersey in der – ausgerechnet – Continental Airlines Arena.
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