Re: John Lennon

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zeno-cosini

Registriert seit: 23.04.2007

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Mit grossem Staunen und ebensolcher Verwunderung lese ich seit geraumer Zeit das, was in diesem thread debattiert wird. Ist ja richtiggehend spannend und abwechselungsreich. Es öffnet mir sogar durchaus neue Einblicke.

Für mich war die Ermordung John Lennons eine Art „musikalisches Erweckungserlebnis“. Ich war frische 15, musikalisch wenig interessiert. Es gab da einige Freunde, die von ihren größeren Brüdern mit Musik aller Art bekannt gemacht wurden. Einer hatte einen Keller, der gänzlich mit QUEEN-Postern übersät war. Andere spielten mir rotzigen Punk-Lärm vor. Und es gab da ein Mädchen in meiner Klasse, deren älterer (!!!) Freund ein großer Fan von Frank Zappa war. Sie war es auch, die mir die Bedeutung von Zappas Hit „Bobby Brown“ nahebrachte. Seis drum, das alles berührte mich so wenig wie auch die Musik, die es in den Samstagabend-Fernsehshows zu hören gab, die ich mit meiner Familie anzuschauen gewöhnt war. Viel mehr beschäftigte ich mich mit dem unglaublich explosiven Wüten, das sich in meiner (nennen wirs mal:) Körpermitte abspielte und zunehmend mein gesamtes Denken und Fühlen in Anspruch nahm. Bis zu jenem 8. Dezember 1980, morgens im wie üblich überfüllten Bus, der mich in die nächstgelegene Stadt zur Schule bringen sollte. Ich ergatterte einen Platz, direkt hinter dem Busfahrer, der das Radio recht laut aufgedreht hatte. Das „christliche Wort zum Tag“ war gerade vorbei, die Nachrichten kündeten von der Ermordung eines Beatles. Ich dachte in dem Moment daran, dass meine Cousine Hanna mir immer vergeblich beizubringen versucht hatte, wer denn nun wer von den Beatles auf den Hüllen ihrer Platten war. Einer von denen war tot. Schlimm. Sowas konnte auch nur in Amerika passieren. Weiter beschäftigte mich das nicht.
Aber was staunte ich in der Schule. Unsere Lehrerinnen und Lehrer liefen wie auf Watte durch die Gegend. Ich werde nie vergessen, wie die Deutschlehrerin den Unterricht begann: “ Ich weiß nicht, ob Ihr es schon wisst. John Lennon von den Beatles ist erschossen worden. Ihr könnt Euch garnicht vorstellen, was das für unsere Generation bedeutet. Ich bin so furchtbar traurig.“ So ganz klar war mir nicht, was das bedeuten sollte. Aber ich war neidisch auf diese Generation. Jeder weitere Lehrer hatte etwas zu sagen über seinen Schmerz, seine Traurigkeit. So kannte ich meine Lehrerschaft nicht. Es war ein faszinierender Blick unter die Masken, die sie sonst zur Schau trugen.
Mittags machte ich das Radio an, Radio Luxemburg. Den ganzen Tag gab es ausschließlich Beatles, Lennon, Zeitzeugen, Meinungen, Trauer und Schmerz. Es war wie ein Crashkurs in Musikgeschichte, wie eine Initiation in eine neue Welt, für mich zumindest. Spät abends hab ich im Bett gelegen und geweint und geweint. Tags darauf, vielleicht auch 2 Tage später, hab ich mir in der Stadt SGT. PEPPER gekauft, meine erste richtige LP jeseits von Winnetou-Hörspielen und Dschinghis Khan.
Bald waren die Beatles und Lennons Solowerk komplett neben meiner Anlage deponiert. Rauf und runter hab ich das gehört. Dann Bücher dazu gelesen, Plakate aufgehängt undsoweiter undsoweiter. Von der JOHN&YOKO-Geschichte war ich begeistert, wollte auch so ne Beziehung, hatte so eine 5 Jahre lang und wollte dann von derart symbiotischem Zeug nix mehr wissen.
Ich liebte John Lennon, den Friedensengel. Nach und nach waren dann auch andere Sachen über ihn zu lesen. Das änderte meinen Blick nochmals auf ihn. Mich berührt die Zerrissenheit dieses Menschen, seine fast schon verzweifelte Suche nach Halt. Sicher war er kein einfacher Mensch. Wahrscheinlich war ein ein genauso großes Arschloch wie viele dieser Rockstars, die ein Leben in Saus und Braus leben und dabei viele Leute kaputt oder tot zurück lassen (wenn ich an die Autobiographien von Eric Clapton und Keith Richard denke, schauerlich).
Wenn ich so lese, wie bösartig Lennon manchmal über seine eigene Musik und die der Beatles gesprochen hat, muss ich staunen. Wie auch über die Tatsache, dass er seine unglaublich starke Gesangsstimme selbst nicht mochte.
Ob Lennon in seiner politischen Phase immer klug und durchdacht gehandelt hat, darf bezweifelt werden. Erinnert sei da an den Song „Revolution“, zu dem Lennon sinngemäß sagte, zuerst hätte er sich beim Schreiben die Revolution herbeigewünscht habe, aber dann plötzlich Angst davor kriegte, gerade we il er auch viel zu verlieren hatte… (Man verbessere mich, wenn ich da was durcheinander bringe)
Ich glaube, er war einerseits schnell von einem Thema „zu begeistern“, andererseits hat sich von Yoko Ono sicherlich auch mitreissen lassen.
Zumindest war er ein Sinnbild für die Suche nach Frieden. Eine Projektionsfläche für den Wunsch, friedlich leben zu können (wie es auch Ghandi war und ist). Ein Engel ist dieser manchmal irre Wüterich nicht gewesen, dieser aggressive Interviewpartner, dieser fiese McCartney-Basher, dieser dumpfe Hausmann-Kiffer.
Es mag sein, dass Lennons Musik nicht mehr zeitgemäss ist, wie jener ZEIT-Mitarbeiter schreibt. Mich persönlich berührt sie weiterhin. Für gute Musik gibt es auch kein Verfallsdatum. Was wäre sonst mit dem unvergleichlichen Ludwig van, was mit Jazz-Giganten wie Thelonius Monk? Musik kann höchstens im eigenen Rezeptionsapparat altern, in der eigenen Empfindung, die stets subjektiv bleibt. Es gibt gute, es gibt sehr gute und es gibt grandiose Lennon-Songs jenseits der Beatles (POB ist eines der besten Alben, die je veröffentlicht wurden). Auch der eine oder andere Mist ist da produziert worden. Aber wenn ich gerade die wütenden Stimmen hier so lese, scheinen sie doch irgendeine Wirkung zu entfalten. Es ist vielleicht schwer zu akzeptieren, dass die Beatles die größte Band aller Zeiten (bis hierher) sind. Und ich bin der erste, der die Lust verspürt, einer derart übermächtiges Denkmal vom Sockel zu stossen (obwohl ich glaube, dass die Beatles den Höhepunkt der Pop- und Rockmusik so far darstellen, höre ich seit langem viele andere Bands erheblich häufiger und lieber).
Mich schmerzt der Tod Lennons immer noch. Aber er hat mir Türen geöffnet, hat mich neugierig gemacht, hat mich zu The Who und Steely Dan, zu Radiohead und Wilco, zu Porcupine Tree und Nada Surf, zu Arcade Fire und TV on the Radio, zu Acid Mothers Temple und Phish geführt und vielen anderen mehr.
Lennon war ein ganz Großer. Er hat viele singen lassen. Er hat viele träumen lassen. Und wie groß die Sehnsucht danach ist, hat zuletzt Obama gezeigt. Dass Träume platzen müssen, steht auf einem anderen Blatt…

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