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Zeitzeugenbericht : Der Mann, der schneller spielte als sein Schatten
von Gerd Augustin
Er liebkoste seine Gitarre wie eine Frau und spielte wie ein Gott: Vor 65 Jahren wurde Jimi Hendrix geboren. Rock-Manager Gerhard Augustin war kurz vor Hendrix‘ Tod 1970 mit dem Musiker unterwegs – und berichtet von Groupie-Partys, Dollarhaufen und einem legendären Konzert im Regen.
Bei meiner wahrscheinlich verrücktesten Begegnung mit Jimi Hendrix warf der Stargitarrist ausgelassen mit Dollarscheinen um sich. Gerade hatte er für sein zweites Album „Axis: Bold as Love“ einen Vorschuss von 50.000 US-Dollar in bar bekommen. Nun wollte er allen zeigen, wie glücklich er war, die Platte endlich abgeliefert zu haben. Also warf er die Scheinchen in die Luft. Überall war Geld.
Ich wurde 1967 zufällig Zeuge dieser denkwürdigen Szene im New Yorker Büro der Plattenfirma MCA, weil meine Freundin Nancy dort arbeitete und ich sie gerade zum Lunch abholen wollte. Hendrix warf das soeben verdiente Geld ganz demonstrativ in die Luft, und wir waren völlig perplex über diesen spontanen Ausbruch von Übermut. MCA-Rechtsanwalt Michael Jeffrey stürzte aus seinem Büro, um den Grund für das laute Geschrei und Gelächter in der Lobby zu erfahren. Er konnte gar nicht begreifen, wieso überall Haufen von Dollars auf dem Fußboden herumflogen. Natürlich halfen wir, die Scheine einzusammeln – doch Jimi schien es völlig egal zu sein, ob die Knete wieder komplett bei ihm ankam. Er war da ganz entspannt.
Drei Jahre später war ich wenige Tage vor Jimis Tod mit ihm in Deutschland unterwegs: Er machte eine Tournee von Frankfurt nach Berlin, dann weiter nach Hamburg und schließlich auf die Insel Fehmarn.
Uschi nimmt Jagger statt Langhans
Als Vertreter der Plattenfirma „Liberty United Artists Records“ begleitete ich die Band Canned Heat auf der von Lippmann & Rau organisierten Deutschland-Tournee, die von Jimi Hendrix angeführt wurde. Mit dabei waren Künstler wie Sly and the Family Stone, Ginger Baker’s Airforce, Fleetwood Mac und Ten Years After. Richtig knackige Bands also.
Überhaupt waren überall knackige Leute unterwegs. Kurz zuvor hatte ich bei einem Wiener Schnitzel im Café Roma in der Münchner Maximilianstraße Uschi Obermaier kennengelernt. Als Uschi merkte, dass ich einige der ganz großen neuen Rockstars persönlich kannte, überredete sie mich, sie zu einem Treffen mit Mick Jagger in Stuttgart mitzunehmen. Ich nahm also Uschi und Rainer Langhans in meinem überdimensionalen blauen Firmen-Mercedes mit nach Stuttgart, und wir landeten im Bahnhofshotel, wo die Stones residierten. Nach dem Konzert blieb Uschi mit der Band im Hotel, und Rainer fuhr ohne sein „Groupie“ mit mir zurück nach München.
Unter ähnlichen Umständen brachte ich nun, auf Hendrix‘ Deutschland-Tour, Uschi in Berlin mit Jimi zusammen. Das war genau drei Wochen vor seinem Tod. Uschi war überglücklich, als ich sie mit in Hendrix‘ Garderobe nahm, wo außer uns nur noch der Drummer Mitch Mitchell und seine Freundin Karen abhingen. Dort ließen wir es uns dann richtig gut gehen.
Hilfe von der Witwe des Bundespräsidenten
Es war eine riesige Tour, eine Rockmusiker-Horde von 50 Leuten zog durch die Republik: Von der Frankfurter Festhalle bewegte sich der ganze Tross nach Berlin in die ausverkaufte Deutschlandhalle, und von dort ging es über Hamburg zur Insel Fehmarn. In Hamburg gab es echte Schwierigkeiten beim Umsteigen vom Flughafenbus in den Zug, der uns weiter nach Fehmarn bringen sollte. Als der Bahnhofsvorsteher dieses bunte Volk sah, verweigerte er den Weitertransport per vorbestelltem Luxus-Waggon.
Nun spielen die Zufälle im Leben ja oft eine wichtige Rolle. Und diese Zufallsrolle übernahm die damals bereits verwitwete Frau des früheren Bundespräsidenten Heinrich Lübke. Sie war per Bahn allein auf dem Weg von Bonn nach Lübeck und musste den gleichen Zug benutzen, den auch wir nehmen wollten. Als sie am Bahnsteig mitbekam, wie miserabel sich der livrierte Bahnhofsvorsteher gegenüber den ausländischen Gästen benahm, sprach sie ein Machtwort und telefonierte mit irgendeinem hohen Tier, um uns kurz darauf persönlich in den Salonwagen zu eskortieren.
Sie gestand uns, dass sie ja eigentlich gar keine Macht mehr habe, aber aus den alten Tagen der Bundespräsidentschaft ihres Mannes noch ein Telefonbuch mit sich führe, in dem viele extrem hilfreiche Nummern stünden. Die kurze Zugfahrt nach Fehmarn nutzten wir dann für ein ausgiebiges Champagner-Frühstück, das Jimi der ganzen Runde spendierte.
Fünf Schichten Seidenhosen
Auf Fehmarn regnete und stürmte es – obwohl es erst Anfang September war. Jimi Hendrix spielte seinen letzten Live-Auftritt auf dem europäischen Festland in strömendem Regen und nasskaltem Wetter. Es war so ungemütlich, dass er für seinen Auftritt fünf lange Seidenhosen und Hemden übereinander anhatte – aber trotzdem noch wie ein Rohrspatz fröstelte. Offenbar war er gerade auf einem „Turkey“, Heroinentzug. Dieser Auftritt bleibt meine letzte Erinnerung an den Ausnahmegitarristen. Am 18. September 1970, dem 58. Geburtstag meines Vaters, rief mich Mitchells Freundin Karen aus London an und erzählte mir von Hendrix‘ mysteriösem Tod im Samarkand Hotel.
Genau 30 Jahre später, am 18. September 2000, besuchte ich Hendrix noch einmal. Sein schlichtes Grab in Seattle war allerdings eine große Enttäuschung. Denn wenn man bedenkt, welch große touristischen Attraktionen in Seattle mit dem Namen Jimi Hendrix verbunden sind, sollte man annehmen, dass die Stadt oder die Familie von Jimi Hendrix an einem solchen Gedenktag in irgendeiner Form ihre Solidarität mit dem Verstorbenen zeigt. Nichts davon. Ein grauer Stein mit einer eingemeißelten Gitarre und ein paar verwelkte Blumen neben einer Postkarte aus Amsterdam, auf der ein Delfin abgebildet war – das war alles.
Jimi lebt in der Musik.
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I'm pretty good with the past. It's the present I can't understand.