Re: Comic-Empfehlungen

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latho
No pretty face

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Diese Besprechung ist fast ein wenig, ähm.. Punk:

Peyo – Le Schtroumpfissime / Schlumpfissimus

Die meisten werden jetzt schon wieder aufgehört haben zu lesen – verständlich, denn was unter dem Titel „Die Schlümpfe“ so alles vermarktet wird, ist unglaublich (Erfinder Peyo ist da nicht unschuldig). Dabei sind sie ursprünglich nur ein Nebenprodukt von Texter und Zeichner Pierre Culliford (1928 – 1992), der sich Peyo nannte. Seinen wichtigsten Comic „Johan & Pirlouit“ (auf deutsch „Johann & Pfiffikus“, „Edelhart & Kukuruz“ habe ich auch mal gesehen) veröffentlichte er ab 1947, Abenteuer-Geschichten um einen mittelalterlichen Knappen. In diesem Comic brachte er seine Kunst bald zur Meisterschaft. Stand Hergé für die Schönheit und Franquin für den Sarkasmus im frankobelgischen Comic, so sind Peyos Comics reiner Minimalismus: stark reduzierte Zeichnungen, spartanischer Strich und eine unglaublich konzentrierte Handlung, die, ganz im Gegensatz zu vielen heutigen Comics, keinen Platz verschenkt, sondern die Geschichten mit fast kinetischer Energie vorantreibt. Peyos Panels (also seine „Inszenierung“) sind immer zweckgebunden, jedes Bild treibt die Handlung voran, bereitet einen Witz vor. Und sind bevölkert von Archetypen: in einem Zimmer steht ein Tisch? Ein Wohnzimmer. Auf dem Tisch steht eine Blume, an der Wand hängt ein Bild? Hier ist es wohnlich, etc. Die Johan-Geschichten sind fast durchweg zu empfehlen (z.B. „Le Sortilege de Maltrochu“ / „Der Zauberer von Schwarzenfels“ oder „Le serment de Vikings“ / „Der Schwur der Wikinger“, alle auf deutsch bei Carlsen), sehr direkte Action-Abenteuer, manchmal sehr witzig, Familiencomics, die Erwachsene nicht langweilen müssen.
Im Johan-Abenteuer „La flûte à six Schtroumpfs“ / „Die Schlümpfe und die Zauberflöte“ von 1958 tauchten sie zum ersten Mal auf: die blauen Gnome (der Name Schtroumpf wurde ursprünglich als Platzhalter, also wie „Dingsda“ benutzt), 100 an der Zahl, angeführt vom rotgewandeten Großen Schlumpf, die im Wald leben und ständig „schlumpfen“. Diese Schlümpfe wurden, sehr zum Leidwesen Peyos, bald bekannter als die Ursprungsserie selber, sicherten Peyo den Lebensunterhalt (dagegen dürfte er nichts gehabt haben) und erlaubten ihm ein Studio aufzubauen, dessen Zeichner ihm vor allem bei den Schlümpfen unterstützen. Ein Hinweis: Peyo und seine Zeichner, darunter Namen wie Walthéry, Wasterlain oder Derib können Schlümpfe zeichnen, sonst keiner. Vor allem die Nasen der Peyo-Figuren sind so einzigartig, dass es überhaupt keine Probleme macht, diese von den ganzen neuen Geschichten zu unterscheiden (und wie das geprägt hat: man sehe sich z.B. mal die Nasen von Deribs Yakari an…), die leider auch unter dem Namen Peyo erscheinen.
Im Gegensatz zu den Abenteuergeschichten von Johan sollten die Schlumpf-Geschichten breitere Themen ansprechen, die Schlümpfe sollten – jeder einzeln – für menschliche Tugenden und Schwächen stehen. Nun muss man solche „erbaulichen“ Geschichten ja mit Vorsicht genießen, all zu oft bleibt da nur der erhobene Zeigefinger übrig (das erinnert mich immer daran, dass Heinz Rühmann solche Geschichten verfilmen wollte – über die Unzulänglichkeit des menschlichen Wesens. Unzulänglichkeiten wie die Scheidung von der Ehefrau, weil sie Halbjüdin war, lassen wir aber lieber weg, nicht wahr, Heinz?).
Aber Peyo wagte sich zumindest in den ersten Geschichten gleich an die ganz großen Themen: Krankheit und Wahnsinn (Les Schtroumpfs noirs / Blauschlümpfe und Schwarzschlümpfe), Fernweh und Abenteuerlust (Le Cosmoschtroumpf / Der Astronautenschlumpf – wunderschön) oder Sex (La Schtroumpfette / Schlumpfine).
Le Schtroumpfissime / Schlumpfissimus von 1965 handelt von Macht und Politik – die Rahmenhandlung ist eine sehr gelungene Parodie auf die Machtergreifung von Diktatoren wie Bonaparte oder Hitler. Und Peyo packt alles in seine Geschichte: Dissidenten (mit Spassbomben), die lustigste Verschwörerrunde aller Comics (Chaplin stand da ein bisschen Pate), Kampf um die Hauptstadt mit anschließender Zerstörung derselben. Die Internationale wird gesungen (in „Schlumpf“) und es ist auch hier „dulce et decorum“ für das Vaterland zu sterben (sprach’s und läuft in einen Tomatenhagel). Und zum Schluß taucht der Große Schlumpf auf (dessen Abwesenheit die Geschichte ins Rollen brachte), der alle ermahnt, jetzt doch wieder aufzuräumen.
Ein Familiencomic mit erwachsenen Themen, kein Wunder, dass im Internet die Fama (wo sonst) umging, die Schlümpfe wären Kommunisten. Jungs, vielleicht sieht der große Schlumpf aus wie Karl Marx, aber die anderen sind alle blau, nicht rot…

Die Schlumpf-Comics gibt es bei Carlsen in der übersetzten Dupuis-Edition, ebenso die Johan-Geschichten. Wer die Augen aufhält, kann eventuell noch andere, billigere Ausgaben bekommen (meine ist von Bastei mit dem doofen Namen „Bube, Dame, König, Schlumpf“ –Quatsch, die ersten zwei Begriffe tauchen im Comic gar nicht auf).

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