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So, wie versprochen, eine Empfehlung zwischen den Jahren, ein weiterer Rückgriff auf meine persönliche Top Ten:
O’Bannon/Möbius – The Long Tomorrow
Das Thema des einsamen Privatdetektivs stammt natürlich aus dem Los Angeles der 30er und 40er, aber das dahinterliegende Motiv, das (vor allem moralische) Überleben in der Großstadt, ist spätestens seit der Städtebildung aktuell (und kann und wird deswegen ja auch auf antike Großstädte wie Rom angewendet).
Die Großstädte der Zukunft, die noch größer, höher und anonymer sein werden, benötigen natürlich auch ihre einsamen Männer und Frauen, die dort zuhause sind. Ich bin kein Science-Fiction-Experte, von daher kann ich die ersten „hardboiled“ Geschichten in der SF-Literatur nicht genau festlegen, für das Medium Comics ist das zum ersten Mal überzeugend in Dan O’Bannons und Möbius „The Long Tomorrow“ geschehen.
O’Bannon, Zeichentricktechniker (Lucas‘ Star Wars), Schauspieler und in den 70ern immer wieder Autor schrieb hier ca. ’75/’76 eine seine ersten Comic-Kurzgeschichten (viel mehr kenne ich von ihm auch nicht). Möbius ist Jean Giraud (den ich hier schon einmal vorgestellt habe), einer der begabtesten frankobelgischen Zeichner, der in den 60ern zunächst Comics für jugendliche Leser (der phantastische „Leutnant Blueberry“ zusammen mit Szenarist Charlier) zeichnete, mit schönem Strich, aber zunächst noch sehr konventionell. In den 60ern begann er (auch unter Drogeneinfluss) mit Farben zu experimentieren, vereinfachte seinen Strich zugunsten von größeren farbigen Flächen. Wie bereits erwähnt gefällt mir bei ihm vor allem die zunehmend psychedelischen, unwirklich-schönen Farbgebungen, die seinen Bildern nicht nur etwas Fremdartiges sondern auch etwas Unwirkliches geben.
„The Long Tomorrow“ ist eigentlich eine ganz archetypische Detektiv-Geschichte: „private dick“ Pete bekommt einen Auftrag von einer schönen Frau, er jagt einen Attentäter/Informanten, findet einen wichtigen Gegenstand, die Auftraggeberin stirbt, erscheint wieder und es gibt Sex, danach bleibt Pete dann allein, wie es sich für seinen Beruf gehört.
Das Neue an der Geschichte ist die SF-Umgebung, in der sie spielt. Eine empor gewachsenen Stadt (die guten Wohnviertel sind natürlich oben), in der man sich nicht vertikal, sondern horizontal bewegt, die Cops, einheitlich in Uniform, sind Roboter, die sich aber sehr menschlich geben (und wahrscheinlich in ihren Pausen Donuts essen). Der Auftragskiller wird über einen Raketenstartplatz gejagt und dann in ein feuriges Inferno geschickt. Die Auftraggeberin ist tot, aber taucht wieder auf, weil nur ein Klon getötet wurde.
Auffallend ist auch der sehr schräge Humor, der die Seiten durchzieht (den ich mal Möbius zuschreiben würde). Der wichtige Gegenstand ist das Gehirn des örtlichen Präsidenten (das sich als auffallend klein entpuppt und anscheinend zunächst auch nicht vermisst wurde).
Das wirklich Aufregende sind die Zeichnungen, bzw die Welt, die Möbius entwirft: drängende Enge am Boden, Unmengen kleine Geschäfte, herumflitzender Verkehr, dagegen weite Flächen in den Apartments der Reichen. Alles ist in ein unwirkliches Licht getaucht (das ganze spielt auf einem fremden Planeten, wie man am später sieht), die Farben wirken fremdartig, die Welt dagegen merkwürdig vertraut.
O’Bannon und Möbius legten mit der (zweiteiligen) Kurzgeschichte eine Art Bewerbungsmappe vor, die ihnen den Job als Autor und Gestalter bei Ridley Scotts „Alien“ einbrachte. „Alien“, genauso wie „Blade Runner“, wirkt, obwohl inzwischen über 20 Jahre alt, kaum veraltet – wahrscheinlich weil alle folgenden SF-Filme sich an Ausstattung und Design bedient haben. The long tomorrow – indeed.
Es gibt ziemlich sicher eine erhältliche englische Original-Ausgabe von The Long Tomorrow, die ich aber nicht habe oder kenne. Auf deutsch hatte Carlsen mal die Möbius-Geschichten in einer Reihe „Universum der Wunder“ gesammelt. Im Band „Ist der Mensch gut?“ (lustige Geschichte übrigens – der Mensch ist schlecht) befindet sich „The Long Tomorrow“ (heißt auch auch auf deutsch so), beide Teile, insgesamt 16 Seiten lang. Die Übersetzung ist merkwürdig, außerdem abgeändert. Weshalb wird das Gehirn des Majors statt des Präsidenten gesucht? Wahrscheinlich als Tie-In in die Reihe um Möbius Kurzgeschichten-Helden Major Grubert aus der „Unsichtbaren Garage“ (die beste Major-Grubert-Geschichte ist natürlich die, in der in einem verkleinerten Mini-U-Boot im Körper seiner Geliebten umherfährt und dort eine Nachricht von ihr findet), die auch bei Carlsen herauskam. Finde ich nicht gut, aber der Druck ist sehr schön.
Aber weil Weihnachten war: hier könnt Ihr die Geschichte online nachlesen (site ist nicht von mir). Edit: Link entfernt weil tot
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