Re: Comic-Empfehlungen

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latho
No pretty face

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Und wie angekündigt:

Moore/Gaiman/Sim/Miller/McFarlane – Spawn 8 –11 („Four Writers Issue“)

Ungefähr so alt wie die Geschichte der Superhelden ist die Frage nach dem Besitz an den Rechter der Figur. Und natürlich zogen die Autoren und Zeichner den kürzeren, die Geschichte von Superman-Erfindern Jerry Siegel und Joe Shuster ist bekannt. Und immer wieder gab es Streit wegen der Frage, natürlich es geht um die Figur an sich, wie wird sie geschrieben, wird die Intention, die der Erfinder hatte, durch einen neuen Autoren auf den Kopf gestellt, werden grafische Ideen geklaut, will ich mich überhaupt vergleichen lassen? Und natürlich geht es auch um Geld, den Lebensunterhalt.
Einen Ausweg gab es lange nicht, manche Autoren wichen in die Independent-Szene aus, manche versuchten spezielle Verträge mit den Verlagen zu schließen, aber das gelang nicht jedem. Und im Schatten der zwei Großen, DC und Marvel wuchs zwar im Lauf der Zeit eine kleine Indie-Szene an, aber es handelte sich vor allem um spezielle Comics, die sich an Erwachsenen richteten. Bis es Anfang der 90er bei Marvel krachte.
Marvel hatte sich mit Jim Lee und Todd McFarlane zwei äußerst beliebte Zeichner herangezogen, mit seinem glatten Stil prägte Lee die 90er wie kein zweiter und auch McFarlanes Spiderman war sehr beliebt. Die Palastrevolution blieb aber aus – vor die Entscheidung gestellt, entweder Autoren-Zeichner oder zumindest teilweise Rechte an Figuren zu verlieren, suchte sich Marvel neue Zeichner.
Ganz wie im Western verließen sieben Zeichner 1992 Marvel (Lee, McFarlane, Larsen, Sil-vestri, Portacio, Valentino und Liefeld) und gründeten Image Comics, eine Firma, die logischerweise den Erfindern volle Rechte an den Figuren zusprach.
McFarlane begann sogleich seine neue Serie: Spawn. Mit der gewohnten Mischung aus Superhelden-Splash-pages, Action und diesem ganz eigenen detaillierten, „comic-haften“ Mc-Farlane-Touch bei seinen Figuren erzählt Todd McFarlane die Geschichte von Soldat Al Simmons, der stirbt, aber als Zombie in einem lebenden Superhelden-Kostüm zurückkehrt und nun vor allem wissen will warum. Die Serie ließ sich gut an und für die Hefte 8 – 11 hatte sich McFarlane etwas besonderes ausgedacht: die damals vier bekanntesten Namen unter den Comic-Autoren würden die Geschichte für jeweils ein Heft schreiben. Alan Moore, Neil Gaiman, Frank Miller und Dave Sim (gut, drei der bekanntesten Namen…).
Alan Moore begann, in dem er sich aus der aktuellen Geschichte entfernte und bissig-sarkastisch den weiteren Weg eines Kindermörders beschreibt. Moore entwarf eine trostlose Landschaft, in der die verlorenen Seelen umherstreifen, hoffend auf den Himmel, aber langsam erkennend, dass die Hölle eine mechanisch-bürokratische Dimension ist, die „verdammte“ Seelen vor allem als Laufburschen, Brennmaterial oder Spielzeug benötigt.
Neil Gaiman, immer seinem College-Publikum verpflichtet, erschuf den Gegenpart zu Spawn: Angela, einen „Engel“ (und die erste weibliche Gegenspielerin von Spawn), der Spawns (ja, es gibt mehrere) jagt und für den „Himmel“ arbeitet, eine undurchsichtige Bürokratie, ähnlich leidenschaftslos wie die Hölle. War das bibelfeste Amerika nach den ersten Ausgaben von Spawn schon nicht sonderlich begeistert, so war jetzt endgültig Schluss. Und die Verkaufszahlen stiegen, wie üblich bei Verbotenem, weiter an.
Der in den Mainstream-Kreisen unbekannte Dave Sim, Cerebus-Autor und damals noch Halbgott der Indie-Szene, ging noch weiter: sein Spawn findet sich in „Erebus“ wieder, dem Teil der Hölle, der bei Moore erwähnt wurde, aber zu gruselig war, ihn zu beschreiben. Aus einer dunklen Zelle strecken sich ihm Arme entgegen: ich erkannte The Thing, Spiderman, Superman, Batman, The Flash und einige andere, anbei stehen vermummte, eingeschnürte Gestalten, die Erschaffer dieser Helden. DC und Marvel als die Hölle, die Kreativen als die in die Hölle Verdammten und die Superhelden als die Leidenden – alles in einem beeindruckenden Bild von großer Radikalität. Ich rechne es McFarlane hoch an, dass er es zeichnete (und dazu DC und Marvel als eine Frau mit anziehendem body, dem Kopf des Dämonen Violator und einem Kleid aus greenbacks). Und dann taucht Cerebus-Dave Sim auf, raucht eine Zigarette und führt den verwirrten Spawn durch Kitchener, Ontario zurück zu dessen Frau und Kind (in ein Haus mit tausenden von Hockeysammelkarten, ganz wie McFarlane sie sammelt), denn Spawn ist frei „Your creator is still with you. He didn’t sell you.“
Miller, ganz im Sinne der Story holt Spawn zurück in „seine“ eigentliche Geschichte und einen Kreig zwischen gut bewaffneten Strassengangs – Miller-stuff eben.
Dieser Coup verschaffte McFarlane Aufmerksamkeit auch über die Kreise der fanboys und sicherte Spawn Auflage und diverse Ideen, die er weiter verarbeitete.
Es kam wie es kommen musste: Liefeld und Lee waren beliebte Zeichner in den späten 80ern/frühen 90ern. Als die um waren, sanken die Verkaufszahlen und Image Comics versank in Zahlungsschwierigkeiten, Streitereien und Prozessen. Die meisten Zeichner verließen Image, inzwischen ist eigentlich nur noch McFarlane da, aber Spawn zeichnet und textet er auch nicht mehr, sein Geld verdient er mit action figures. Mit Gaiman traf er sich wegen diverser Streitereien (ausgehend von Gaimans Spawn-Beitrag – von wegen creators rights) vor Gericht und verlor. Alan Moore schrieb diverse Comics für ABC, bis DC den Verlag aufkaufte (so wie Marvel Malibu-Comics) und Moore den Rückzug in die Rente ankündigte. Sim wurde über Cerebus zum Einsiedler und wunderlichen Alten und Miller drehte Sin City, machte aber weiterhin keine aufregenden Comics mehr.
Zurück bleibt „the four writer’s issue“ mit der seltenen Gelegenheit vier der besten Comic-Autoren im direkten Vergleich am selben Thema zu sehen (wen’s interessiert: meine Reihenfolge lautet Sim, Moore, Gaiman, Miller).
Und die Notwendigkeit, gute und motivierte Autoren zu haben.

Die einzelnen Hefte dürften zwar erhältlich aber teuer sein, aber es gibt von Spawn meines Wissens Sammelbände, die dürften eher erschwinglich sein.

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If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.