Re: Comic-Empfehlungen

#2701391  | PERMALINK

latho
No pretty face

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So, nachdem ich die The-Crow-Empfehlung endlich geschrieben habe, hier nun etwas, das ich schon länger mit mir herumtrage…

Naoki Urasawa – 20th Century Boys

Der Anfang ist grandios deprimierend: die ersten Seiten zeigen wie kurz vor Kenjis Abschluß in der Mittelschule das Lautsprechersystem der Schule gekapert wird (an meiner Schule auch mal passiert) und die Befreiung wird in alle Klassenzimmer getragen, Bolans „20th Century Boy“ natürlich. „Etwas würde sich ändern. Es war das erste Mal, dass Rockmusik durch die Korridore der 4. Mittelschule hallte. Aber…“ eine Seite weiter, Kenji Jahre später, „… es hat sich überhaupt nichts geändert. “ Kenji führt einen kleinen Tante-Emma-Laden, kümmert sich um das Baby seiner verschwundenen Schwester, wird tagtäglich von seiner Mutter in die Konformität gezwungen und hat das Gittarespielen aufgegeben. Vergessen dieser magische Sommer 1969, als die Weltausstellung nach Japan kam und Kenji sich mit seinen Freunden, inzwischen in alle Winde verstreut, in ihrem Geheimversteck traf und große Pläne schmiedete. Pläne für Heldentaten, Pläne zur Welteroberung.
Jetzt, 30 Jahre später trifft man sich anläßlich des Begräbnisses eines alten Freundes und hat sich nicht viel zu sagen. Bis Kenji herausfindet, dass es sich bei dem Tod nicht um Selbstmord handelt und sein Freund auf der Spur einer obskuren Sekte war, der ein geheimnisvoller „Freund“ vorsteht. Und die vorhat die Welt zu erobern – genau so, wie es 1969 von den Kindern geplant wurde. „Freund“ muss also einer von ihnen sein, aber wer? Am Ende gar Kenji selbst?
Und das ist nur der Anfang einer Geschichte, die Urasawa teilweise über sieben bis acht Erzählebenen führt – immer übersichtlich und megaspannend. Feinde, die eben noch Feinde waren, werden Freunde und umgekehrt, nur seinen Freunden kann man trauen, aber wer ist das? Ein ums andere Mal wird die Geschichte gekippt, fängt 20 Jahre später wieder an, bei Leuten, die sich an Schlüsselereignisse vor 20 Jahren erinnern.
Ich weiß, Manga mag nicht jeder und auch Urasawa ist Mangaka, aber seine Zeichnungen sind sehr detailliert und Gesichter (anders als bei den üblichen „4-Gesichtsausdrucks-Künstlern“) sind seine Stärke – Freude, Überraschung und – absolut gruselig – Wahnsinn kann Urasawa mit feinem Strich (der in den kleinformatigen deutschen Ausgaben untergeht) sehr gut darstellen.
Eine Geschichte über Freundschaft, Verrat, Treue und Größenwahn, die Naoki Urasawa immer wieder dreht und wendet und scheinbar neu beginnt. Man muss nicht allen Wendungen folgen, die ersten 10 Bände sind aber ein Muss (das Spannendste was ich als Comic gelesen habe, seit ich Jacobs „Das Gelbe M“ mit 12 ansah). Mindfuck extraordinaire.

Die deutschen Bände bei Panini sollten zu bekommen sein, sind allerdings nur ungefähr halb so groß wie die japanischen Originale. Alternative Bezugsquellen über PN.


(2. Seite des 1. Bands)

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If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.