Re: Rio Reiser – Himmel und Hölle

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j-w
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maximum rhythm & blues

Registriert seit: 09.07.2002

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Weil ich sie gerade höre – ganz tolle Platte:
1. Irrlicht ****1/2
2. Eislied ****1/2
3. Strasse ****1/2
4. Streik ***
5. Gefahr ****1/2
6. Erdbeben ***1/2
7. Der Junge am Fluss ****1/2
8. Hoffnung ****
9. Träume *****
10. Schlacht ***1/2
11. Himmel und Erde *****

Insgesamt ****1/2 – ich habe mal folgendes über das Album geschrieben:

Als keiner mehr Rio auf der Reihe hatte, nach einer Reiher belangloser Soloalben, die dem Hitparadenerfolg mit Rio I folgten, machte Rio noch ein letztes Album für CBS/Sony. Danach war er frei. Frei für Eigenvertrieb, gar Scherben-Revival?
Wir wissen es nicht. Aber wir haben diese Platte.
Und obwohl alle Umstände dafür gesprochen hätten, als Sargnagel für die Solistenkarriere bei der Industrie noch mal ein ähnlich lieblos zusammengeschustertes Album wie die Vorgänger rauszuhauen, hat Rio sich noch mal richtig Mühe gemacht.
Lanrue hat wie immer brav seine Gitarre in den Dienst seines Freundes gestellt und der Opener „Irrlicht“ klingt gleich scherbenmäßiger als all die Scherben-Demos und -Leftovers, die bisher für seine Soloalben herhalten mussten. Über ein typisches 70er-Deutschrock-Riff spukt Rio mantraartig seine Zeilen aus – so hätte IV, das schwarze Doppelalbum, klingen können wenn es besser produziert worden wäre!
Danach Kehrtwende: Das „Eislied“ kommt folkloristisch mit Melodieanleihen vom Nahen und Fernen Osten daher und gibt einen tiefen Einblick in die persönliche Geschichte von Ralph Möbius.
Dann: „Straße“! Wenn alle Lieder über vergangene Lieben so leicht und fröhlich daherkämen, wäre der Blues nicht entstanden. Kein Nachhaken, keine bösen Worte, Verständnis und der Blick nach vorn – wunderbar in Verse gefasst! Drei Lieder, die einen wunderbaren Überblick über das künstlerische Spektrum von Rio Reiser geben, als Opener – stärker hatte kein anderes seiner Alben begonnen!
„Streik“ lässt natürlich sofort an die frühen Scherben denken, aber hier wird 0% politisiert – es geht nur um persönliche Freiräume – trotzdem das schwächste Stück auf der Platte. „Gefahr“ dann wieder großartig! „Erdbeben“, „Der Junge am Fluß“ halten das Niveau – „Hoffnung“ atmet wieder den Geist des Openers und bringt die IV-Assoziation erneut.
Und in die gleiche Kerbe, aber noch tiefer schlägt dann „Träume“! Der Song, der für mich der gefühlte Opener für das Album, für Liveshows, für DIE Retrospektive über Rio Reiser ist. Der Text ist ein absolutes Meisterstück und die Musik transportiert ihn perfekt. Auf Augenhöhe mit allen Großtaten von Rio, ob nun mit Scherben oder Solo. „Schlacht“ ist dagegen deutlich schwächer (Rio vertont einen Text von seinem Bruder Peter und Lutz Kerschowski – klingt als hätte es für ein Theaterstück durchaus Sinn gemacht – hier etwas verloren und überflüssig) aber der Titelsong am Ende des Albums ist dann wieder wunderbar.
Ein Schwanengesang wie ihn nicht viele Künstler hinbekommen haben.

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Staring at a grey sky, try to paint it blue - Teenage Blue