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atomSehr schön beschrieben, wahr. Ich habe die beiden im Januar live gesehen und war extrem begeistert auch wenn das gemeinsame Set nur etwa 25 Minuten gedauert hat. Falls du ihn noch nicht kennen solltest, möchte ich dir den Vorgänger empfehlen:
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Verrückt, aber genau die höre ich gerade. Bestandteil eines kleinen Vinyl-Pakets, das ich mir gegönnt habe: „Balls“, „Schwarzwaldfahrt“, „Ein halber Hund kann nicht pinkeln“, „The Nearer The Bone, The Sweeter The Meat“. Alles Reissues auf Cien Fuegos. Liebend gerne würde ich Brötzmann und Bennink mal live sehen.
@irrlicht
Ich wollte mich ja nochmal melden wegen Brötzmann und der Frage, ob man als Jazzneuling „Schwarzwaldfahrt“ nachvollziehen kann. Also ich denke schon, wobei die Platte herkömmlichen Jazz, auch freierer Natur, eher nicht bedient. Es ist mehr eine Experimentalplatte, bei der man aber zu jeder Sekunde merkt, dass Brötzmann und Bennink genau hinhören, um den nächsten Schritt zu tun. Außerdem hat sie Humor.
Ich bin selbst ja eher ein Quereinsteiger, der sich in der Vergangenheit eher sporadisch mit Jazz beschäftigt hat. Ich kann zum Beispiel nichts mit John Coltrane anfangen, auch sowas wie „Albert Ayler live in Lörrach“ lässt mich eher ratlos zurück. Jedenfalls hat mich das Zeug nie dazu animiert, mich mal näher damit zu beschäftigen. Ich mag von Miles Davis eher den End-Sechziger/Anfang-Siebziger Kram wie „On The Corner“ oder „Get Up With It“, bei Ornette Coleman ist es genauso: Eher ab den Siebzigern, also sowas wie „Body Meta“ gefällt mir. Gebrodel halt, der nicht ins Fusioneske kippt. Was mich dann doch noch zu freierem Jazz gebracht hat, war The Cherry Thing, die Zusammenarbeit von Neneh Cherry und The Thing. Ich kannte bis dato Mats Gustafsson nicht und war begeistert von dessen direkter Power an den Saxofonen. Von da aus habe ich mir dann ein paar Sachen von Gustafsson angehört und finde seinen Stil überwältigend kraftvoll. Parallel dann habe ich den Impro-Rock von Haino/O’Rourke/Ambarchi entdeckt. So kam ich dazu, vor kurzem meine Angst vor Brötzmann zu überwinden und bewaffnet mit den Empfehlungen zu Brötzmann in der WIRE und hier im Rolling-Stone-Forum habe ich mir dann erstmal das „Die Like A Dog“-Projekt besorgt. Gefiel mir auf Anhieb ganz gut, wenn ich auch im Moment das Zeug, das Brötzmann mit Bennink (und Van Hove) eingespielt hat, bevorzuge (zumindest das wenige, das ich kenne). Ist halt noch ruffer und rempeliger und mit Schalk und Humor versetzt. An Brötzmann schätze ich ähnliches wie an Gustafsson: Eine starke Bodenhaftung, wenig Überhöhungen, eine Power aus dem Hier und Jetzt, der durchaus auch mal einige Aggressivität mitgegeben wird. Brötzmann hat auch sowas knarziges und brummiges, was ich sehr zu schätzen weiß.
Und dann habe ich mich natürlich gefragt, warum ich mich plötzlich für Brötzmann/Gustafsson begeistern kann, obwohl mir der Zugang zu Coltrane oder Ayler nur schwer gelingt. Meine Antwort: Coltrane oder Ayler sind mir zu spirituell und ernst. Es geht immer um Höheres: Ihre Musik strebt mit heiligem Ernst und heiliger Leidenschaft dem spirituellen Himmel entgegen. Das funktioniert aber bei mir nicht. In mir ist eine Decke eingebaut, die verhindert, dass ich das Himmelwärtsstreben nachverfolgen kann. Meine Richtung ist der Boden, auf dem man fest steht. Und das ist Brötzmann für mich. Und Gustafsson. Vielleicht ist es auch ein bisschen die „europäische“ Sichtweise des Free Jazz, die eben nicht so starke religiöse Untertöne hervorbringt, sondern sich ja auch in Zeiten ihrer Entstehung (der „68er“) eher an praktischen Dingen rieb. Mir liegt das jedenfalls im Free Jazz-Kontext näher. Soweit meine etwas laienhafte Erklärung, wieso ich Brötzmann schätze. Ich dachte, dass wäre vielleicht wichtig zu wissen, bevor du dir „Schwarzwaldfahrt“ zulegst und enttäuscht bist. Ich würde als Einstieg tatsächlich „Ein halber Hund kann nicht pinkeln“ empfehlen. Da schenken sich die Protagonisten nichts, aber es ist eben mehr Jazz mit Instrumenten und lässt den Wald als Spielwiese weg. Dieser Kommentar ist jetzt etwas lang geraten. Ich hoffe, er ist nicht zu wirr.