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IrrlichtDaher: Sollte man sich Paulo Coelho näher widmen?
Ich habe es getan – eine Rückmeldung (Achtung: Spoiler). Gelesen: „Der Alchimist“.
Heute beim Promidinner: Der Wind von Levante, der Alchimist, die Stimme des Herzens und klar, die Weltenseele.
Der Titel trügt bereits, denn der Alchimist selbst ist nur eine von vielen Weisheitsquellen, die immer mal wieder aus dem literarischen Nichts auftauchen – die Geschichte handelt von einem spanischen Musterjüngling, der einst mit seinen Schafen im „geheimnisvollen Gleichklang“ (S.10) durch die Weiten Andalusiens zog. Aber er wird von einem Traum heimgesucht, ein Kind weist ihm dabei den Weg zu den Pyramiden Ägyptens, wo sein Schatz verborgen liegt. Hin- und hergerissen sucht er eine Wahrsagerin auf, kommt zu dem Punkt, dass diese ihn nicht weiterbringt („Sie mußte eine Zigeunerin sein – die sind ja so dumm“; S.21), ehe er auf den ersten Gralshüter trifft, Melchisedek, den König von Salem, der die ersten sexuellen Erfahrungen des Knaben in den Sand zeichnet – klar wird hier: Der Mann kennt sich aus und hat viel zu berichten! Er erzählt ihm vom Elixier des ewigen Lebens, dem Stein der Weisen, übergibt ihm die Steine Urim und Thummim, die bei schweren Entscheidungen „Ja“ und „Nein“ antworten und klar, auch die Weltenseele findet Erwähnung. Immer mit den klaren Worten der Weisheit des Königs gewappnet („Folge den Zeichen!“, „“Vergiß nie, dass alles ein Ganzes ist“, „Folge Deinem persönlichen Lebensweg“, „Hör‘ auf Dein Herz“), allerdings deutlich ärmer, denn der König ließ es sich freilich nicht nehmen, den zehnten Teil der Schafe einzustreichen (schönes Gleichnis, nicht wahr?), zieht der Jüngling nun weiter.
Auf der Suche nach den Pyramiden, wird er ausgeraubt, beschließt dann, den Lebensplan vorerst abzubrechen („Die Sprache der Welt hat viele Gesichter und kennt viele Wege“) und Kristallglasverfkäufer zu werden. Darin ist er so gut („Man nennt dies Günstigstes Prinzip!“; S.59), dass er ein Jahr bleibt, wieder reich wird und sich erneut auf den Weg macht, denn der vorgeschriebene Lebensweg wartet – oder wie Melchisedek doch lehrte „Wenn Du etwas ganz fest willst, dann wird das Universum darauf hinwirken, dass Du es erreichen kannst“ (S.47). Am Eingang der Wüste, lernt er nun einen Engländer kennen, der ihm vom Alchmisten erzählt, jenen Geschöpfen, die im Einklang mit der Weltenseele leben – ein Ideal für jeden Sterblichen! Gemeinsam ziehen sie mit der Karawane zum ersten Haltepunkt, einer Oase, wo Santiago die schöne Fatima kennenlernt und sich worteifrig schon nach dem ersten Tag verliebt. Das geht dann so: „Ich muss Dir etwas Wichtiges sagen. Ich möchte, dass Du meine Frau wirst. Ich liebe Dich“. Aber der Lebensweg, was ist mit dem? Keine Bange, Fatima weiß Rat. Die Wüstenfrauen haben diese Routine inne, keinen persönlichen Lebensweg zu haben (auch ein schöner Chauvinismus) und so erklärt die holde Schwarzhaarige, mit den Augen, in denen die Weltenseele glüht, auf unseren Bub zu warten, denn „seit meiner Kindheit träumte ich davon, dass mir die Wüste das größte Geschenk meines Lebens bringen würde. Dieses Geschenk bist Du“. Hach. Aber wie es der Zufall so will, ist mal wieder Krieg in der Wüste – die Oase soll angegriffen werden. Dies hat unser Musterdeuter an zwei kämpfenden Vögeln am Himmel sofort erkannt (wir wissen: „Achte auf die Zeichen!“) und so lernt er dann auch den Alchimisten kennen, der mit weißem Schimmel durch die Staubwolke gespurtet kommt und ihn fortan als Schüler aufnimmt. Und auch dieser Eigentümmer der Weisheit hat vieles zu berichten; so lehrt er Santiago das Sprechen mit dem Wind, der Wüste, er erzählt von den eingravierten Schriften auf den Smaragden (in denen die Weltenseele wohnt, klar) und der Spanier quasselt nun fortan immer mal wieder angeregt mit der Stimme des Herzens, kommuniziert mit der Weltenseele, er labt sich an ihr, dringt in sie ein und lässt sich von ihr leiten. Was auch bitter nötig ist, denn irgendwann festgenommen, geht es ans Eingemachte: So soll sich unser Wüstenhexer sogleich in Wind verwandeln, klar, dass das eine schwerwiegende Aufgabenstellung ist. Sein Herz hilft ihm nicht weiter, auch der Wind von Levante kann ihn nicht in Wind verwandeln, so wendet er sich an die Sonne: „Wenn Du die Liebe kennst, dann kennst Du auch die Weltenseele, die aus Liebe besteht!“. Logo, kennt die Sonne die Weltenseele, „wir unterhalten uns viel“ (S.156) erklärt sie – aber hier müsse man sich wahrlich an Gott wenden, „unterhalte Dich mit der Hand, die alles erschaffen hat“ (S.158). Gesagt, getan – er verwandelt sich in Wind, taucht in die Weltenseele ein, die Teil der göttlichen Seele ist, die wiederum die eigene Seele reflektiert. So ist das.
Endlich bei den Pyramiden seiner Lebenswahl angekommen, beginnt er zu weinen – und an diesem Punkt solle er nach dem Schatz suchen. Ein Skarabäus krabbelt über den Sand („Wieder ein Zeichen!“; S.167) und er gräbt, wird plötzlich verprügelt und erfährt dann (Schicksal pur!), dass der Schatz letztlich doch an dem Ort vergraben liegt, den er eins verließ, unter dem Feigenbaum, bei der eingefallenen Sakristei. Denn gestern war heute noch morgen und der Weg ist das Ziel (oder so).
„Er hatte seinen Schatz“ gefunden (S.169): Edelsteine, Götzenbilder, Brillanten und klar, Fatima, die, als er nun endlich in Spanien ankommt, ihren Duft über die Lufthansa der Urgewalten, den Wind von Levante, von Ägypten aus zu ihm sendet. Hach.
Fazit: Wäre Coelho ein Kinderbuchautor, könnte man derlei Späßchen noch nett abwinken, das ist der Herr aber nicht – sondern einer der meistverkauftesten Autoren der Welt. Literarisch? Auf Mittelstufenniveau. Spannungsbogen? Gibts nicht. Charakterzeichnung? Aber gar nicht. Glaubwürdigkeit? Kaum. Weisheit? Wenn man es sich ganz fest wünscht, womöglich.
Eine Ansammlung biederer Kalendersprüche, halbgarer Esoterikweisheiten, grobschlächtiger Konstruktionen (meist kommt die Weisheit entweder aus dem Nichts, oder halt aus der Wüste – oder der Weltenseele, klar) und allerlei Kitsch. Wie dieses Werk ein Weltbestseller werden konnte? Womöglich hat sich Coelho das einfach ganz, ganz fest gewünscht. Zu entscheiden ist für mich nur noch, ob der Brasilianer nun ein vollkommen schmieriger Rattenfänger ist, oder gar wirklich derart naiv und schöngeistig durch die Weltenseele rudert. Wie auch immer: Ganz großer Bullshit.
Wer „Der Alchimist“ mit Hesses „Siddharta“ vergleicht, dem gehört eigentlich augenblicklich die Mündigkeit entzogen. Mindestens.
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Hold on Magnolia to that great highway moon