Re: Fragen zur Literatur

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Anonym
Inaktiv

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Rock ’Danke. Mein Französisch ist leider so stark eingerostet, dass ich mich an die frz. Version nicht herantraue.

[…]

Wenn ich das jetzt richtig verstehe, wird die gleiche Ausgabe mit unterschiedlichen Übersetzungen ausgeliefert, wobei ich nun natürlich wieder nicht weiß, wie weit man dem Rezensenten vertrauen kann.

Noch mal kurz zu den Baudelaire-Ausgaben. Bei den beiden Reclam-Ausgaben handelt es sich um verschiedene; deshalb, weil Fahrenbach-Wachendorff ihre Übersetzung noch einmal überarbeitet hat. Ich kenne nur die erste „Fassung“ (die auch gtw hat). Stimmt schon, das Ziel die Metrik zu wahren, zwingt zu Auslassungen und einigen Änderungen, aber Vorteil ist auf jeden Fall, dass das Original daneben steht und ein umfangreicher Anhang mit Erläuterungen und Bildmaterial gegeben wird. Diesen Vorteil hättest Du auch bei der dtv-Ausgabe von Kemp, die mit ihrer Prosaübersetzung aber reichlich nüchtern daherkommt. Der erste Rezensent bei amazon haut da ja mächtig drauf – übrigens zu Unrecht. Dass Kemp den Vers „Quand, ainsi qu’un poète, il descend dans les villes“ mit „Steigt er gleich einem Dichter in die Städte nieder“ übersetzt, ist nicht falsch, weil sich das „il“ auf den ersten Vers der vorangehenden Strophe bezieht: „Ce père nourricier, ennemi des chloroses“. Kemp kann man da allenfalls vorwerfen, dass er in der Übersetzung etwas hinzufügt: „Die Sonne, dieser Vater und Ernährer, der die Bleichsucht haßt“. (Der von dem Rezensenten so dramatisch gelobte Benjamin macht da übrigens ganz was andres draus: „Der Strahl ernährt, die Bleichsucht macht er enden“, hat aber folglich auch im späteren Vers das „er“. Am weitesten weg ist womöglich die Übersetzung von Therese Robinson bei Diogenes, da sie die Er-Form ganz aufgibt und die Sonne mit einem emphatischen Du anspricht. Sie behält das Versmaß übrigens auch bei. Die Übersetzung ist ziemlich alt, aber ich find sie nicht übel, stammt aus der ersten deutschen Werkausgabe, Gesamtherausgeber war Max Bruns, Herausgeber der „Fleurs du Mal“ Franz Blei. Ob sie für die Diogenes-Ausgabe durchgesehen und das Original – anders als in der Werkausgabe – beigegeben wurde, weiß ich nicht. Und die bei amazon oft gelobte Übersetzung von Carlo Schmid kenne ich auch nicht.

Ach ja: Es gibt schon ziemlich viele Varianten einzelner Verse, die bei Kemp und Fahrenbach-Wachendorff auch genannt werden (außerdem auch Unterschiede in der Gedichtreihenfolge), das liegt daran, dass Baudelaire die meisten Gedichte mehrmals veröffentlicht und bei der Gelegenheit überarbeitet hat. Aber beim ersten Kennenlernen dürfte das nicht so wichtig sein – anders als die Erläuterungen.

Persönlich würde ich heute eher zur dtv-Ausgabe greifen, einfach deshalb, weil bei der Reclam-Ausgabe manchmal zumindest für mein Ohr Befremdliches herauskommt:

Bsp. aus „Le Soleil“, V. 1/2:
Le long du vieux faubourg, où pendent aux masures
Les parisiennes, abri des secrètes luxures

Will durch die Vorstadt mit verfallnen Häusern ziehn,
Wo Wollust sich verbirgt im Schutz der Jalousien

Kemp:
Durch die alte Vorstadt streifend, wo an baufälligen Fassaden die Jalousien hängen, hinter denen die Unzucht sich versteckt

Benjamin:
Durch das Faubourg wo an den alternden Gebäuden
Marquisen hängen, Obdach von geheimen Freuden

Robinson:
Durch der alten Vorstadt verfallene Gassen und Ecken,
Wo verblichene Gardinen das heimliche Laster verstecken,

Ist also sehr schwierig, leider, mit der besten deutschen Übersetzung …

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