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Originally posted by Ford Prefect@16 Jan 2005, 22:09
Kannst du mir den taz-Bericht über das Berlin-Konzert von Green Day irgendwie zukommen lassen? Würd mir den gern mal anschauen.
Auch am Samstag in Böblingen war das Konzert, wie mir mein Bruder berichtete, genauso super. Hier die Berichte aus der Zeitung:
Stuttgarter Zeitung 17.01.2005 Seite 9 66 Zeilen KULT
_____Mit Herz und Handgranate
Das Konzert von Green Day
Von Ulrich Bauer
Punk war tot und stand wieder auf. Dann aber war Punk wirklich mausetot. Doch bald schon war Punk abermals da, nur um gleich wieder k. o. zu gehen und flugs im Müllkübel zu verschwinden, dessen Deckel natürlich sofort wieder gesprengt war. So geht das seit Ende der siebziger Jahre. Doch ist Punk noch Punk? Von der ursprünglichen Idee, wenn es die überhaupt gab, sind nur noch Spurenelemente vorhanden. Punk riecht komisch und ist ein Zitat geworden, eine Spielweise des Rock, die auf der Spielwiese des Pop für eine weitere musikalische Farbe sorgt.
Die amerikanische Band Green Day hat das schon vor gut zehn Jahren begriffen und in ihrem millionenfach verkauften Album „Dookie“ umgesetzt: Als Mainstream für die Massen, gute Laune zum Mitgrölen, Rebellion als kindische Pose. So geht das in der Popmusik. Für die, die jetzt in der ausverkauften Böblinger Sporthalle die drei forschen Kalifornier feiern, sind sie Altvordere in einer Traditionskapelle, die mit ihrem aktuellen Album „American Idiot“ jetzt wieder ganz groß da und nun sogar für gleich sechs Grammys nominiert ist.
„American Idiot“ ist eine Art Konzeptalbum und will ein zynischer Rundumschlag gegen die amerikanische Gesellschaft sein: eine schmuck als Herz gestaltete Handgranate ziert das Albumäußere und dient auch der Live-Show als durchgehendes Markenzeichen. Rabum! Gewaltig haben die Granaten auf der Bühne gezündet und sind die Stichflammen in die Höhe gezischt. In der Show mögen noch die am Halleneingang rührend empfohlenen Ohrstöpsel schützen. Was hilft in der Realität? Perfekt inszeniert läuft das Konzert ab: Mike Dirnt und Tré Cool sind ein durchaus gewitztes Rhythmusgespann. Billie Joe Armstrong ist der gut angezogene Frontmann, bei dem jede kleine Geste sitzt. Ein Quirl in schwarzem Hemd, ein Rumpelstilz mit rotem Schlips ist er, der das Publikum nach Belieben dirigiert und ihm diktiert: Ein Fingerzeig nach rechts, einer nach links, und schon grölt das Publikum in der Böblinger Sporthalle um die Wette. Mit der Wasserspritzpistole hält er in die Menge, aus der jemand hervorspringt, der nun mit einer weiteren Wasserpumpgun auf das Publikum halten darf.
Die Songs des neuen Albums sind nicht gerade schlecht und strotzen vor hitverdächtigen Melodien. Alte Gassenhauer wie „Basket Cake“ zünden musikalisch. Doch das Musikalische scheint Nebensache. Der beste Einfall ist jener: drei Fans aus dem Publikum dürfen auf der Bühne Bass, Schlagzeug und Gitarre spielen, während die drei von Green Day zuschauen. Austauschbar sind sie, der Augenblick offenbart's. Der Augenblick?
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© 2005 Stuttgarter Zeitung
Stuttgarter Nachrichten 17.01.2005 Seite 12 52 Zeilen KUMA
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Green Day zu Gast in Böblingen
Armstrong sucht den Superpunk
„This Is My House Now“, ruft Green Days Sänger und Gitarrist Billie Joe Armstrong in die ausverkaufte Böblinger Sporthalle. Um das gleich mal im Punkkontext stehen zu lassen: eine (genehmigte) Hausbesetzung im großen Stil, sozusagen. Von gestandenen Punks gerne verschmäht und – das muss auch mal gesagt werden – zu Unrecht als „Kindermusik“ abgeheftet, können sich am Samstagabend vorwiegend junge Leute schon fast hysterisch auf die kalifornische Punkband einigen.
Mehr Menschen hätten nur reingepasst, wenn man das Dach abmontiert hätte. Das wollte aber niemand, draußen war's schließlich saukalt. Billie Joe Armstrong, Tré Cool, Mike Dirnt plus Hilfsmusiker lassen nichts anbrennen. In bester Spiellaune gibt's Gassenhauer wie „Longview“, „Basket Case“, „American Idiot“, „Knowledge“ und auch ein paar belangfreie Liedchen. Und sicher, wer Armstrong & Co. nicht mögen möchte, findet jederzeit tausend Gründe, dies in die Tat umzusetzen. Wollte aber niemand. Denn mit entwaffnendem Charme feiern die Kalifornier ein Punkrockfest, bei dem jeder mitmacht. Es ist ja Samstagabend. Da wird schon mal ein Auge zugedrückt.
Green Day sind gepflegtes Entertainment für zwischendurch – so ähnlich wie ein „Calvin & Hobbes“-Comic oder ein Film mit Bruce Willis. Armstrong gibt den Entertainer. Die vermutlich kürzesten Beine des Punkrocks laufen viel an diesem Abend. Das Rumpelstilzchen mit dem roten Schlips ist agil, guckt entrückt, zettelt Südkurven-Gegröle an und reißt manierliche Witzchen. Zwischendrin holen sich Green Day drei Fans auf die Bühne, die sie an die Instrumente bitten.
Armstrong sucht den Superpunk, quasi. Dass er auch ein wahres Goldkehlchen ist, gerät da leicht in Vergessenheit. Zwischen Konzeptkunst und Schnapsidee gibt's den Queen-Partykracher „We Are The Champions“ mit Konfettikanone und noch das hinreißende „Time Of Your Life“. Nach 100 Minuten ist Schluss und die vergnügliche Hausbesetzung vorüber.
Michael Setzer
Goldkehlchen: B. J. Armstrong Foto: dpa
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© 2005 Stuttgarter Nachrichten
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Man braucht nur ein klein bisschen Glück, dann beginnt alles wieder von vorn.