Re: Blumfeld – Testament Der Angst

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irrlicht
Nihil

Registriert seit: 08.07.2007

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Naja, der erste Kontakt mit Blumfeld war eher zufällig, unerwartet bei den Verwandten ausgegraben. Und da man diesen Namen hier und auch an anderer Stelle schon positiv vernommen hatte eben mal fröhlich reingehört. Mittlerweile sogar bereits intensiv – mehrmals !

Zu allererst: Die Platte ist witzig. Wenn einem wirklich nichts mehr zu doof ist, wirkt das Album wahrlich Wunder. Es vergeht kein Durchgang ohne dass ich grinsend da sitze. Allerdings nicht ob der Begeisterung, nein nein, genau das Gegenteil ist der Fall.
Nicht selten (genau genommen außer bei „Der Wind“), besticht mich das Gefühl, ich setze mich mit dem Album einer neuen Castingband auseinander – auf deutsch wohlgemerkt. Teilweise wirkt es auch wie „poltisches“ Futter für die Petry-Fraktion. Je nachdem. Man sucht genau, sucht weiter und weiter, aber so richtig befriedigen tut da nichts. Statdessen wird man mit pseudointellektuellen oder vollends verkitschten Texten („Wellen der Liebe“ – der Titel sagt eigentlich alles. Noch Fragen ?) belagert. Und wer bei solchen Zeilen nicht augenblicklich politisch aktiv wird, dem ist wohl nicht mehr zu helfen („Ich hab Angst vor Deutschland, ich hab Angst vor Europa, den USA und der Nato und vor ihren Interessen„).

Das Peinlichste an der ganzen Sache sind allerdings Ausschnitte wie diese (gut, da kann die Band nichts dafür):

Nach der Auflösung erschien eine Reihe von Würdigungen. So stellte Christof Meueler in der Jungen Welt Blumfeld in eine Reihe der „großen bundesdeutschen Protestbands“ mit Ton Steine Scherben und den Fehlfarben.

Oder das an Oberflächlichkeit kaum zu überbietende „Diktatur der Angepassten“ als Kunstwerk, welches weit über schnell konsumierte (sic !) Popsongs hinausgeht, zu beschreiben. Immerhin gefällt die Gitarre…

Und zu guter letzt solch fast schon ungewollt komisches:

[..]…Linksintellektuellen der Rockmusik in Deutschland“ und bescheinigt Distelmeyer „eine expressionistisch-dichterische Sprache, die in der Popkultur auf Dauer unerreicht bleiben wird“.

Aus Interesse habe ich daraufhin auch die drei Bands (FF, TSS und BF) miteinander verglichen, soweit möglich zumindest. Aber welcher Text auf diesem Album (allzuviel mehr wollte ich mir bis dato nicht zumuten, Gesundheit und so…) nur im Entferntesten in diese Richtung gehen sollte blieb mir verborgen. Der Vergleich ist daher für mich nicht nur lächerlich absurd, sondern fast schon ärgerlich. Da tun mir die anderen beiden wirklich Leid, nicht zuletzt, weil sie zu meinen liebsten deutschen Gruppen zählen. Und für den entsprechenden Schreiberling schlichtweg peinlich.

Womöglich sollte ich auf die bisherigen Hörer nächster Famile hören. Das ist tatsächlich so schlecht, das kann wohl NUR Satire sein. Bevor Sonic Juice fragt, sie waren alle über 40.

Aber gut, vollends schrecklich ist es nicht. Mit „Der Wind“ ist immerhin ein schöner Titel vertreten, da hat sich der Herr Distelmeyer wohl mal wirklich ins Zeug gelegt. Und auch „Abendlied“ besticht – so herrlich dämmlich, dass es schon wieder wirklich Spaß macht.

Ansonsten leider weitestgehend schwaches Material, musikalisch wie textlich. Und der Gesang könnte nicht klebriger sein. Ein Versuch war’s wert. Schade, dass ich wohl als einziger mit so einem Veriss ankommen muss.

1. Graue Wolken ***
2. Weil es Liebe ist **
3. Eintragung ins Nichts **
4. Anders als glücklich ** 1/2
5. Testament der Angst **
6. Die Diktatur der Angepassten ** 1/2
7. Der Wind ****
8. Wellen der Liebe *
9. Abendlied *** 1/2
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** 1/2

Mein stets gnädiges Wertungssystem läßt trotz alledem noch solche Wertungen entstehen. Immerhin ist es ertragbar, stört nicht (easy listening wohl) und bietet den Einen oder Anderen Lacher. Was will man von der besten deutschen Band auch mehr…

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Hold on Magnolia to that great highway moon