Re: Bonnie 'Prince' Billy & Matt Sweeney – Superwolf

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nikodemus

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Schöne Review in der Frank. Rundschau

Vom Wegsperren der quälenden Dinge

Neue, wundervoll irrlichternde Moritaten aus der abgründigen amerikanischen Provinz von Bonnie „Prince“ Billy

Kentucky, das klingt irgendwie ungut. Als würden drittklassige Horrorfilme dort stattfinden, in denen jugendliche Flitterwöchner mit der Hilfe von degenerierten Hinterwäldlern eine letzte Ruhestätte in den Forsten finden. Es klingt nach der Seite von Amerika, mit der man in keinen näheren Kontakt treten möchte. Auch die Musik von Will Oldham klingt nach diesem Amerika. Sie klingt nach Folk und Bluegrass, nach dem Ursprung von Americana, und man spürt, fühlt den Blues. Will Oldham hat gelebt in New York und in Baltimore und ist doch wieder zurück gekehrt nach Kentucky. Er sieht auch so aus wie einer, dem man nicht im Wald begegnen möchte, mit seinem Bart aus Bürgerkriegstagen. Manchmal trägt er sogar eine Latzhose.

Kauzigkeit als Konzept
Und dann kommt er einem noch unter falschem Namen. Nennt sich Bonnie „Prince“ Billy und singt vom Tod. Auch auf Superwolf, seinem neuen Album, das er zusammen mit Matt Sweeney aufgenommen hat, der sich als früherer Frontman einer Band namens Chavez Meriten verdient hat und dann bei Smashing-Pumpkin Billy Corgans Solo-Versuch Zwan mittat. Gleichberechtigt sollen sie gearbeitet haben, aber das Ergebnis klingt vor allem nach Will Oldham.

Oldham erregte in den früheren neunziger Jahren Aufsehen, weil er nicht nur ebenso radikal depressive wie unglaublich wundervolle Stücke aufnahm, oder weil er die Namen seiner Band von Palace Brothers zu Palace Songs, Palace und schließlich zu Bonnie „Prince“ Billy wechselte. Sondern auch, weil er es schaffte, durch geheimnisvolles Verhalten wie ein Phantom durch die Presse zu irrlichtern. Er wohne in einer Garage, hieß es mal, er spreche kaum ein Wort. Andere berichteten, er sei der glücklichste Mensch der Welt und würde mit berechneter Schmerzensmusik ein empfindsames Publikum ausbeuten. Journalisten, die ausschließlich seinetwegen den Weg nach Kentucky wagten, erzählen noch heute beeindruckt, wie Oldham plötzlich aus seinem Auto sprang, den Besucher auf dem Beifahrersitz zurück ließ und für Stunden verschwunden blieb. Solch Verhalten und vor allem seine fast schon unangenehm intimen Moritaten aus der abgründigen Provinz, in denen schon mal Eintopf aus kleinen Kindern gekocht wurde, sorgten für Kultstatus unter Kollegen. Johnny Cash hat Oldhams Song „I See A Darkness“ als Duett mit ihm aufgenommen und Björk gehört zu seinen Bewunderinnen.

Ein Eremit, ein seltsamer Kauz, ein Waldschrat, der einerseits gar nicht kompatibel ist mit dem Musikgeschäft, andererseits aber genau deswegen Erfolg hat. Denn nicht nur das Image ist zur Marke geworden, einen Bonnie „Prince“ Billy erkennt man auch musikalisch immer: Ob er wie zuletzt auf Sings Greatest Palace Music die besten Songs aus seinen frühen Tagen in einem vergleichsweise polierten, fast Nashville-tauglichen Sound noch einmal neu herausbringt oder wie jetzt auf Superwolf die bluesgetränkte, rüde Stimmung aus eben jenen Anfangszeiten wieder belebt.

Es geht nicht um Innovation, nicht einmal um persönliche Weiterentwicklung. Nur in seinen frühen Tagen hatte Oldham zur Popgeschichte etwas beizutragen, in dem er den Singer-Songwriter-Ansatz in der Americana radikal personalisierte und sein düsterstes Innerstes nach außen kehrte, ohne Rücksicht zu nehmen auf alle Genre-Spielregeln. Damit hat er einen Zustand erreicht, wie er sonst nur verdienten Musikern, nur den Besten wie Neil Young, Bob Dylan, Patti Smith, Johnny Cash oder Van Morrison vorbehalten ist.

Nichts mehr beweisen müssen

Wie es sich gehört für Künstler, die sich und anderen nichts mehr beweisen müssen, beschäftigt sich auch Oldham mit den immer wieder kehrenden, geradezu biblischen Themen. Von Liebe und noch viel lieber von ihrem Ende, von Inzest und Einsamkeit, von Krankheit und Lügen, Verbrechen, Verrat und Verzweiflung handeln seine Lieder. In seinen Songs, so glaubt er, werden die quälenden Dinge weg gesperrt, damit sie niemanden mehr belästigen.

Sein bevorzugter Gegenstand ist der ewigste von allen: Immer wieder besingt er mit brüchiger Stimme, in Songs, die dann „I See A Darkness“ heißen, den Tod. In „A Minor Place“ sondierte er schon mal, wie das Jenseits ausgestattet ist. Superwolf beginnt gar mit den Zeilen „I have often said/ That I would like to be dead“, die das fast sechs Minuten dauernde Epos „My Home Is The Sea“ einleiten, das sich von einer melancholischen Melodie zu nächsten hangelt, ohne je ein echter Song werden zu wollen. „Meine Songs haben etwas Gruseliges“, sagt er. „Ich weiß nicht, ob es notwendigerweise eine so gute Sache ist, sie heraus zu bringen.“

Noch intensiver aber als Oldhams Songs ist die Stimmung, in der er sie umsetzt. Die Instrumentierung ist stets so zurück genommen, als hätte sie Angst, die Stimme zu zerbrechen, die mitunter am Abgrund zum Unhörbaren agiert und doch zielsicher die Melodien findet, die einem das Herz weh werden lassen.

Der unangenehmste Moment von Superwolf: Wenn Sweeney das Ende von „Goat and Ram“ mit einer scheppernden E-Gitarre zukleistert. Ansonsten aber gibt er sich vor allem Mühe, nicht weiter unangenehm aufzufallen. Die Musik hat er geschrieben, als wollte er ein besserer Oldham werden, einen Song darf er selbst singen, die anderen vorsichtig ergänzend begleiten. So entstehen auch auf Superwolf wieder diese Momente unglaublicher Intimität, die einen zerrissen zurück lassen zwischen peinlicher Berührtheit und dem guten Gefühl, einem Freund die Beichte abgenommen zu haben.

„Die meisten, die meine Platten kaufen“, sagt Oldham, „können sich keinen Therapeuten leisten.“ Tatsächlich transzendiert Will Oldhams Stimme in immer wieder kehrenden Augenblicken die Melancholie und erweckt die Fröhlichkeit in der Trauer. Wer ihm zuhören darf, den kann das Jenseits nicht mehr schrecken – und noch nicht einmal Kentucky.

Quelle: Frankfurter Rundschau (thomas winkler)

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