Re: Sonny Rollins

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Sonny Rollins‘ Aufnahme-Debut fand in einem ziemlich ausgefallenen Rahmen statt, nämlich mit dem Bebop-Sänger und Original Babs Gonzales:

In 1949 Capitol jumped on the bop bandwagon and signed Miles Davis, Tadd Dameron, Dizzy, Woody Herman, Benny Goodman and others. In January Babs became part of the Capitol stable and at the end off the month did the first of a series of dates that are memorable for the all-star personnel and sometimes wacky juxtaposition of musicians. The first New York session is notable as Sonny Rollins‘ recording debut. The rest of the line-up is Jordan Fordin on alto, but only in the ensemble (Fordin, another Newarker, played organ on some Joe Holiday Prestige sessions in the early ’50s); Bennie Green and J.J. Johnson, trombones; Julius Watkins, french horn; Linton Garner (Erroll’s brother), piano; [Art] Phipps, bass; and Jack „The Bear“ Parker, drums.“

~ Ira Gitler, Liner Notes zu „Babs Gonzales – Weird Lullaby“ (Blue Note CDP7-84464-2, 1992)

Bennie Green, J.J. Johnson (tb) Julius Watkins (fhr) Jordan Fordin (as) Sonny Rollins (ts) Linton Garner (p) Arthur Phipps (b) Jack Parker (d) Babs Gonzales (vcl)
New York, January 20, 1949

3393-2 Capitolizing
3394-1 Professor Bop

Beide Titel auf:
– Cap 57-60000, M11059, (F)5C052.80852, (E)T20578
– Blue Note CDP7-84464-2 [CD]
– Classics (F)1124 [CD]

„Capitolizing“ ist eine Scat-Nummer, in der die Posaunen auf Babs antworten, Green soliert als erster, dann folgen Rollins, Johnson und Watkins. Greens Ton ist „meaty“, voll und rund, er war wohl kein absoluter Bebopper sondern bezog sich in seinem Spiel auch auf ältere Posaunisten, aber er gehört zu meinen liebsten Musikern auf dem Instrument. Rollins folgt mit einem noch etwas verhaltenen Solo mit schönem, sonoren Ton, Johnson bläst ein paar typische Bebop Licks, Watkins gelingt erstmal nur die Einstiegsphrase, danach braucht er eine Weile, bis er sich für die zweite Hälfte seines Solos wieder auffängt… das Risiko des Horns eben.
„Professor Bop“ könnte gemäss Gitler durchaus autobiographisch zu verstehen sein: „There’s a cat in Harlem town / Got a new crazy goin‘ round / Oop-be-da-bla-hill-ya-wa / Called professor bop“. Art Phipps Bass-Spiel hält auf beiden Nummern die Begleitung rhythmisch spannend, während die Drums eher unaufdringlich sind. DIe Solisten hier sind J.J., Watkins (diesmal mit einem runden schönen Solo), Rollins (er klingt zuversichtlicher, selbstbewusster, lässt sich Zeit) und Bennie Green.

Gonzales nahm im März in Los Angeles seine nächste Session auf, in der Band waren neben J.J. auch Art pepper, Herbie Stewart (einer der originalen „four brothers“), Wynton Kelly, Gitarrist Pee Wee Tinney, Bruce Lawrence am Bass und Jackie Mills an den Drums (wie auch die beiden Blue Note Sessionv, die Gonzales 1947 eingespielt hat und die Singles-Session für Blue Note von 1956 und 1958 sind sie auf der erwähnten CD zu finden).

J.J. Johnson (tb) Albert Socarras (fl) Don Redman (sop) Sonny Rollins (ts) Wynton Kelly (p) poss Ray Nance (vln-1) Bruce Lawrence (b,vcl) Roy Haynes (d) Babs Gonzales (vcl)
New York, April 27, 1949

3779 St. Louis Blues
3780 Real Crazy
3781 Then You’ll Be Boppin‘ Too
3782 When Lovers They Lose (dr sop only) (bl vcl,1)

3779/3780 auf:
Cap 57-60012, (F)5C052.80852, M11059, (E)T20578, (Du)5CO52.80852
Cap (Jap)TOCJ-5621-28 [CD]

Alle Titel auf:
– Blue Note CDP7-84464-2 [CD]
– Classics (F)1124 [CD]

Diese Band ist noch bedeutend eigenartiger… neben Rollins, J.J., Roy Haynes und Kelly spielt hier auch Don Redman, der grosse Arrangeur von Fletcher Henderson, und er spielt auch noch Sopransax! Alberto Socarras war ein legendärer Latin-Flötist, und auf einem Stück stiess der Ellingtonian Ray Nance mit seiner Violine dazu. Zwei der Stücke wurden zum ersten Mal auf der Blue Note CD veröffentlicht.
„Real Crazy“ ist ein Babs-Original, das auf „Indiana“ beruht und eine Phrase von „Isle of Capri“ verwurstelt. Kelly soliert als erster, schon hier mit seinem klaren Anschlag, gefolgt von Rollins, dessen Ton etwas rauher klingt, er greift jedenfalls in die Vollen! Dann folgt Babs mit einem grossartigen Scat-Solo (Gitler spricht von „one of his best solos on record“), und J.J. macht den Abschluss mit einem schönen, mit Dämpfer gespielten Solo. Redmans Sopran ist im Ensemble präsent, und Haynes‘ Drums sorgen für einen treibenden, swingenden und stotternden Rhythmus.
„Then You’ll Be Boppin‘ Too“ wird im Ensemble von Socarras Flöte geprägt, es ist eine Montage aus Bop-Versatzstücken, die in erster Linie auf „Flyin‘ Home“ beruht. Rollins bläst das erste Solo, natürlich ohne Anleihen bei Illinois Jacquet zu nehmen… im Gegenteil, das klingt unglaublich frisch und Roy Haynes begleitet ihn grossartig. Es folgen Kelly, Gonzales und J.J.
Die dritte Nummer, „When Lovers They Lose“ ist eine Art weird lullaby, für einmal mit Worten. Hier spielt vermutlich Ray Nance die Violine (es handelt sich hier um einen educated guess von Ira Gitler, der aber auch Eingang in die Diskographien gefunden hat, ich weiss nicht, ob sich seit 1992 ein Wissenszuwachs betreffend dieser Session ergeben hat). Wie die Flöte kurz reinspielt, Lawrence‘ Bass den Boden legt, Kelly leicht bittere Fills einstreut und Gonzales dann mit dem sehr melancholischen Thema einsteigt, das ist sehr, sehr schön gemacht! Es erinnert durchaus an die ähnlichen Experimente, die Mingus oder Tadd Dameron in depäten 40ern angestellt haben. Gonzales konnte jedenfalls auch sowas sehr gut.
Die vierte und letzte Nummer ist wohl eine der speziellsten Interpretationen, die jemals von „St. Louis Blues“ gemacht wurden. Ein rhythmisiertes Intro, in dem Gonzales und die Bläser call and response spielen („We’re boppin‘ Mr. Handy’s tune!“), geht dem Thema voran, das dann über einen schnellen Mambo-Beat präsentiert wird, Gonzales hat ziemlich viel am Text herumgebastelt und so unsterbliche Linien geprägt wie: „Manhattan women with their rings and gowns and their things… in a Cadillac car… con todo Sioux Falls soul… takes me to paradise“ und „you’ll find your life will be sweet the very moment you meet all the wealthy chicks“. Rollins soliert als erster, mit viel Biss und grosser Frische, gefolgt vom sehr flüssig und relaxt aufspielenden J.J. und Babs, der noch rasch die „lady in red“ herbeibemüht… ein fast schon teuflisches Vergnügen, diese Nummer! Und man wundert sich in der Tat mit Ira Gitler, wie Gonzales es geschafft hat, von Handy die Erlaubnis für diese Interpretation zu kriegen!

In Ergänzung zu Gonsales: 1952 entstanden (während Gonzales Mitglied von James Moodys Band war) noch einmal vier Stücke, „Sugar Ray“, „Cool Whalin'“, „Still Wailin'“ und „Shuckin‘ and Jivin'“ (mit Dave Burns, Don Cole, Pee Wee Moore, Sadik Hakim, Larry Goins und Chick Williams, sowie auf den letzten beiden James Moody), sie finden sich auf der Spotlite CD „Cool Whalin'“, auf der neben Gonzales auch Joe Carroll, Earl Coleman, Kenny „Pancho“ Hagood, Eddie Jefferson und Frankie Passions zu hören sind (letzterer übrigens begleitet von Thelonious Monk). Diese Stücke sind auch mit den Blue Note und Capitol Aufnahmen auf einer Proper-CD zu finden („Real Crazy – A Proper Introduction to Babs Gonzales“, diese CD enthält überdies von 1953 ein Stück mit Johnny Griffin und zwei mit einer eigenen Band, in der u.a. Buddy Tate, Hank Jones, Curly Russell und Osie Johnson sitzen).
Die Blue Note CD endet wie gesagt mit zwei späteren Singles-Sessions: 1956 traf Gonzales auf Jimmy Smiths Trio (mit Thornel Schwartz und Donald Bailey) und spielte „‚Round Midnight“ und sein Original „You Need Connections“ ein, 1958 spielte er dann mit Bennie Greens Band (mit Eddy Williams, Sonny Clark, Paul Chambers und Jerry Segal) zwei Takes von „Encore“ ein (45 Take und LP Take).
Es gibt natürlich noch weitere Aufnahmen von und mit ihm, aber es geht hier ja eigentlich um Sonny Rollins…

Sonnys dritte Session im Studio fand unter Leitung von J.J. Johnson statt. Für Savoy

Jay Jay Johnson’s Boppers: J.J. Johnson (tb) Sonny Rollins (ts) John Lewis (p) Gene Ramey (b) Shadow Wilson (d)
New York, May 11, 1949

S36-130-1 Audobahn
S36-130-3 Audobahn [Audubon]
S36-131 Don’t Blame Me
S36-132-2 Goof Square
S36-132-4 Goof Square
S36-132-8 Goof Square
S36-133-3 Bee Jay
S36-133-5 Bee Jay

S36-131 & 133-5 auf:
– Savoy 949

S36-132-8 auf:
– Savoy MG15049

Alle Titel auf:
– Savoy SJL2232

S36-130-3, 131, 132-8 und 133-5 auf:
– Savoy MG12106, (Jap)SOPU-12, 15AP220, 22RS-12,MGJ-12106, COJY-9063, SV0151 [CD], (Jap)COCY-9803 [CD], sowie auf Savoy 881919, 650119 [CD], „Jay & Kai – Mad Bop“ (mit Stücken vom 24. & 26. August 1954)
– Realm (E)RM195
– Musidisc (F)SA6029

Ein Take von jedem Titel auf:
– Vogue (F)650119 [CD]

Alle Takes ausser S36-132-2 und 133-3 auf:
– Savoy Jazz 17127 [CD], „Origins: The Savoy Sessions“

Ich kenne hiervon leider nur die Master Takes (von MG12106 bzw. SV0151).
„Audubon“ ist ein einfaches Original von Rollins, der auch das erste Lewis begleitet zwar interssant und rhythmisiert, aber eine Spur weicher als Kelly zuvor. Ramey und Shadow Wilson allerdings sind – trotz all ihrer zweifellos zahlreichen Qualitäten – nicht die idealen Begleiter für eine solche Bebop Session. Johnson und Rollins klingen beide etwas verhalten, was zu Johnson (der mit Mute soliert) sehr gut passt. Schön sind dann aber die kurzen exchanges, in denen auch Ramey rasch zu hören ist.
Es folgt die Ballade „Don’t Blame Me“, in der Lewis ein Paradebeispiel für die verlorene Kunst des kurzen Piano-Intros gibt. Johnson präsentiert das Thema wieder mit Dämpfer, Rollins spielt dann eine zweite Stimme – mit Johnson und Lewis waren ja zwei hervorragende Arrangeure zur Stelle… das Stück gehört jedenfalls ganz Johnson und er glänzt mit sehr stimmungsvollem Spiel
Rollins „Goof Square“ ist wieder eine Bop-Nummer. Wilson spielt eine Spur lebendiger, Johnson soliert als erster, anfangs mit fliessenden, leicht trägen Linien, dann werden seine Phrasen boppiger, rhythmisierter – ein sehr schönes Solo. Es folgt Lewis mit einem kurzen Solo, das typisch ist in seiner verhaltenen, nur scheinbar einfachen Spielweise. Rollins belebt das Geschehen ein wenig, aber auch er klingt ein wenig verhalten und verhangen. Seine Phrasen sind aber klassicher Bebop, über das mittelschnelle Tempo sehr relaxt phrasiert.
Die letzte Nummer der Session, „Bee Jay“, stammt von Johnson und ist eine klassische schnelle Bebop Komposition mit Stop-and-Go Rhythmen – Wilson ist jetzt endgültig wach! Rollins soliert als erster, klingt fordernder, phrasiert mit mehr Biss, sein Ton kommt hier ein wenig besser zur Geltung

Auch Rollins‘ nächste Session fand unter der Leitung von Johnson statt, Lewis war wieder mit dabei, diesmal war die Band aber deutlicher in Richtung Bop zusammengestellt: Kenny Dorham, Max Roach und Bassist Leonard Gaskin ergänzten das Sextett. Die Rollins Prestige-Box enhält übrigens nur je einen Take von allen Titeln – und die Veröffentlichungen (das unten ist sicher nicht mehr komplett mittlerweile) sind ziemlich undurchsichtig.

Jay Jay Johnson’s Boppers: Kenny Dorham (tp) J.J. Johnson (tb) Sonny Rollins (ts) John Lewis (p) Leonard Gaskin (b) Max Roach (d)
New York, May 26, 1949

JRC20-B Elysees
New Jazz NJ810, Prest 810, Gazell 2004, Jazz Parade B14
JRC20-? Elysees
Prest PREP1330, LP7023, LP7253, P24067, Esquire (E)EP107, 32-036, HMV (F)FELP10.010, OJC CD091-2 [CD]
JRC21-C Opus V
New Jazz NJ806, Prest 806, PREP1330, LP7023, LP7253, P24067, LP16-4, Jazz Parade B13, Jazz Selection (F)550, OJC CD091-2 [CD]
JRC22-C Hilo
New Jazz NJ806, Prest 806, PREP1330, Esquire (E) EP106, Jazz Parade B13, Jazz Selection (F)550
JRC22-? Hilo
Prest LP7023, LP7253, P24067, Esquire (E)32-036, HMV (F)FELP10.010, OJC CD091-2 [CD]
JRC23-D Fox Hunt New Jazz 810, Prest 810, PREP1330, LP109, LP7023, LP7253, LP16-4, P24067, Jazz Parade B14, Gazell 2004, Jazz Selection (F)552, Esquire (E)EP107, 32-036, Barclay (F)84.054, HMV (F)FELP10.010, OJC CD091-2 [CD]

Anmerkungen:
„Elysses“ als „Elysee“ auf einigen Veröffentlichungen
Ein Take von „Elysses“ auch auf New Jazz 803, Prestige LP109, LP16-4, Jazz Selection (S)552, Sonet (Swd)SXP2803, Barclay (F)84.054
Ein Take von „Hilo“ auch auf Prestige LP109, LP16-4, Barclay (F)84.054
Alle Titel von Prestige LP7023 auch auf OJC 091, (Jap)VICJ2370 [CD], alle als „Trombone by Three“
Prestige P24067: „Early Bones“
Prestige LP7253: „J.J. Johnson – Looking Back“
OJC CD091-2 [CD]: „Trombone by Three“, Rest dieser CD von Kai Winding und Bennie Green

„Elysee“ stammt von John Lewis und ist ein lineares Thema, in dem die Bläser sich gegenseitig umgarnen – sehr hübsch gemacht. Dorham beginnt die Soli mit einem kurzen Break und bläst ein lyrisches Bop-Solo. Lewis folgt mit einem sparsamen Solo, gefolgt von Rollins, der hier wesentlich besser aufgenommen ist als in der Savoy-Session. Roach begleitet aktiv, auch als J.J. übernimmt. Sonny Rollins hat das zweite Stück, „Hilo“, komponiert. Johnson spielt das erste (und wieder das längste) Solo, gefolgt von Lewis, Rollins und Dorham. Roach begleitet wirklich sehr toll! Und er kriegt am Ende im Wechsel mit dem ganzen Ensemble auch noch ein wenig Platz für ein Solo. „Fox Hunt“ und „Opus V“ stammen beide vom Leader. In „Fox Hunt“ ist die Solo-Routine dieselbe wie in „Hilo“, Rollins Solo ist sehr schön aufgebaut, sein Ton streckenweise schon eine Spur kerniger. Am besten gefällt mir aber auch hier wieder das Solo von Kenny Dorham (der noch ein kleines Zitat einstreut, wenn ich bloss wüsste, was das schon wieder ist…)
Das abschliessende „Opus V“ wird von Dorham über einen Pedal Point präsentiert, im Wechsel mit der ganzen Band im schnellen 4/4. Johnson soliert wieder als erster, Roach ist von Beginn an sehr präsent, kommentiert das Geschehen, treibt J.J. an, ist dauernd im Dialog mit ihm – sehr toll! Lewis folgt, wieder zurückhaltend aber auch sehr toll. Es folgt Dorham mit einem Solo, in dem die Finger nicht immer ganz den Ideen folgen können. Roach kriegt hier ein richtiges Solo, dann folgt nochmal der Pedal Point Teil des Themas mit Dorham.

Die nächste Session gehört zu den ganz grossen Jazz-Sessions überhaupt – und sie wurde auf so vielen unterschiedlichen Singles, LPs und CDs veröffentlicht, dass ich hier kapituliere…

Bud Powell’s Modernists: Fats Navarro (tp) Sonny Rollins (ts) Bud Powell (p) Tommy Potter (b) Roy Haynes (d)
New York, August 8, 1949

BN360-0 Bouncing with Bud (alt 1) BLP 1532
BN360-1 Bouncing with Bud (alt 2) BLP 1531
BN360-2 Bouncing with Bud 78-1567, BLP 5003, BLP 1503
BN361-0 Wail (alt) BLP 1531
BN361-3 Wail 78-1567, BLP 5003, BLP 1503
BN362-0 Dance of the Infidels (alt) BLP 1532
BN362-1 Dance of the Infidels 78-1568, BLP 1503
BN363-1 52nd Street Theme 78-1568, BLP 1504, BLP 1503

Alle Titel z.B. auf folgenden CDs:
Bud Powell – The Complete Blue Note and Roost Recordings (Blue Note 830083-2, 1994, 4CD)
The Amazing Bud Powell – Volume 1 (RVG Edition, Blue Note 532136-2, 2001)

Dies war Powells dritte Session als Leader (er spielte ohne Rollins und Navarro noch die beiden Titel „Ornithology“ und „You Go to My Head“ ein). Powell war erst 24 aber schon ein einflussreicher Pianist. Er hatte zudem schon eine längere Zeit im Creedmore Sanatorium hinter sich, während der er Schockbehandlungen über sich ergehen lassen musste. Für Bob Blumenthals Liner Notes zur RVG-Ausgabe hat Roy Haynes sich erinnert:

„I lived close to Bud in 1949,“ Haynes said. „He was on St. Nicholas Avenue near 141st Street in Harlem, and I lived closer to the river at 149th. He had his ups and downs, but he was beautiful then. When I’d come to his home, he’d say, ‚We don’t want no geniuses here,‘ slam the door, laugh, then say ‚Come on in!‘ Kenny Dorham and I were two of the older guys who would visit. Mostly, younger guys hung out there, Sonny Rollins and Jackie McLean and their friends. I don’t think we ever rehearsed, even when we had a job or when the record date came up. Bud would be in his bathrobe writing songs when we arrived; then he would play for us, like a private concert.“
Haynes, Rollins, trumpeter Fats Navarro and bassist Tommy Potter joined Powell for the Modernists recordings. „I remember what a hot August day it was in the studio,“ Haynes recalled. „And I remember, at the end of the session, Bud saying, „Ten years form now, people will be playing what I played today.'“ Powell’s appraisal was both accurate and too modest. The ensemble’s trumpet/tenor front line, and its prominent interaction between strong horn soloists and interactive rhythm section, anticipated the hard-bop style that would dominate jazz in the late ’50. Of course, musicians are still playing Powell’s compositions, and emulgating his solo style and that of the brilliant Navarro (near the end of his tragically brief career on this date) and Rollins (at the start of what 50 years later is his ongoing reign).

~ Bob Blumenthal, Liner Notes zu „The Amazing Bud Powell – Volume 1“ (RVG Edition, Blue Note 532136-2, 2001)

Blumenthal schrieb in seinen Liners zum Blue Note 4CD-Set (das übrigens in ähnlicher Form etwas mehr als ein Jahrzehnt zuvor auf LP bei Mosaic erschienen ist) über Powells Spiel: „… Powell steals the show with solos in which energy and aggression never undermine lucidity and melodic beauty.“ Damit ist wohl das wichtigste gesagt: Powells Spiel höre ich hier zwar nicht als besonders aggressiv, aber er spielt mit Biss, brilliert mit Ideen und setzt diese in makelloser Klarheit um, spinnt Linien von grosser melodischer Schönheit.
Rollins war übrigens im Jahr 1949 erst 18 Jahre alt, und bei dieser Session ist das nur wirklich kaum mehr zu glauben, so reif wie er hier klingt. Sein Ton ist rund und gross, er vermählt perfekt die zuvor für kaum vereinbar gehaltenen Einflüsse von Coleman Hawkins und Lester Young, seine Linien sind geschmeidig wie jene von Pres, der Ton kernig und deutlich von der Hawkins-Schule geprägt, wie dieser gräbt er nach Lust und Laune tief in die Akkorde, beherrscht die Sprache des Bebop perfekt, kann aber auch – das sollte ein paar Jahre später noch viel deutlicher zu hören sein – lineare und motivische Soli von unglaublicher Leichtigkeit und einem überwältigenden Ideenreichtum konstruieren.

Die vier Quintett-Stücke stammen abgesehen von Monks „52nd Street Theme“ alle von Powell. „Bouncing with Bud“ ist in drei Takes zu hören, es beginnt mit einer Art Fanfare, in der Tommy Potter zeigt, dass er wohl der kraftvollste Bebop-Bassist ist (und neben Al McKibbon wohl der technisch avancierteste, jedenfalls abgesehen von der grossen Trias von Oscar Pettiford, Charles Mingus und Ray Brown). Rollins bläst das erste Solo, Haynes begleitet ihn sehr efffektiv. Navarro übernimmt fliegend und mit einem Zitat von „Lover Come Back to Me“ (auf allen drei Takes), sein Spiel ist linear, fast schon statisch seine Phrasierung, wie so oft bläst er fast sein ganzes Solo in Achteln. Dann folgt Bud, und wie Blumenthal feststellt: er stellt alles in den Schatten! Der Master Take wird eine Spur schneller präsentiert, Haynes übernimmt die Filles, die zuvor von Potter und Powell gespielt wurden. Rollins‘ Einstieg ins Solo ist unglaublich toll!
„Wail“ ist eine sehr, sehr schnelle Bop-Nummer, auch diesmal hat Powell die Bridge auskomponiert (Parker hat sie üblicherweise für einen ersten solistischen Ausflug genutzt, Powells Kompositionen für diese Session sind schöner ausgearbeitet als im Bop üblich und zeigen – besonders „Bouncing with Bud“ – was für ein begabter Komponist Powell war). Rollins und Navarro zeigen wenig Mühe, mit dem schnellen Tempo zu recht zu kommen, beide beginnen ihre Soli in beiden Takes mit denselben Ideen (besonders jene von Navarro ist aber auch sehr toll!). Powell spielt jeweils zwei brillante Durchgänge, Haynes begleitet sehr aktiv und kriegt am Ende im Thema die Bridge für sich. Im Alternate setzt Navarro beim Thema etwas zu spät ein, möglich, dass deswegen der zweite Take notwendig wurde.
„Dance of the Infidels“ beginnt mit einer unbegleiteten Fanfare der Bläser, gefolgt von einer kurzen Trio-Passage, bevor das Stop-and-Go-Thema einsetzt, das von einem leicht melancholischen Charakter durchzogen ist – ein Blues über veränderte Changes. Powell soliert als erster, spielt vier Durchgänge voller luzider Ideen und mit absolut bestechender Artikulation, gefolgt von Navarro und Rollins mit je einem Chorus. Der Master Take wird etwas rascher angegangen als der Alternate Take.
Monks „52nd Street Theme“ ist vom verspielten Thema geprägt, Rollins und Navarros spielen je einen Chorus, Powell folgt mit deren zwei, dann folgt der shout chorus (auch so eine wunderbare Tradition, die heutzutage ziemlich vergessen scheint), dann kriegt Haynes die Bridge, bevor das Thema zurückkehrt.

Als Ergänzung hier noch einmal Ira Gitler:

The debut of his compitions Dance of the Infidels, Bouncin‘ with Bud, and Wail marked the August session, along with Monk’s 52nd Street Theme, Ornithology, and You Go to My Head. The first four titles feature Fats Navarro and Sonny Rollins with Powell. The last two are trio numbers with Tommy Potter and Roy Haynes.
Dance of the Infidels is one of Powell’s most famous compositions. It’s typical of the period in that the chords are the augmented blues changes introduced during this era, and the theme, as Leonard Feather says in his liner notes to The Amazing Bud Powell „makes use of a favorite rhythmic device of bop: the two-bar phrase with a ‚hesitation‘ accent [the „stops“] before the third beat of the second bar.“

~ Ira Gitler: The Masters of Bebop. A Listener’s Guide. Updated and Expanded Edition, 2001, S. 117

(Leider sind Feathers Notes nicht wiedergegeben in der RVG CD.)

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