Re: U2 – How To Dismantle An Atomic Bomb

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otis
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Das schreibt Alexander Gorkow heute in der SZ: :lol:

Die Oper ist in ihm.

Das haut den stärksten Mann um: Bono Vox und „U2“ haben eine neue Platte gemacht.Es könnte an der fragilen Gesamtbefindlichkeit der Gesellschaft liegen, dass gewöhnliche Neuerscheinungen heutzutage mit Zähneklappern erwartet werden.Früher waren neue Platten gut oder schlecht.

Heute wird eine Band, die eine erste gute Platte gemacht hat, auch von seriösen Medien mit Hysterie sofort als beste Band der Welt angepriesen, was zur Folge hat, dass es jedes Jahr fünf neue beste Bands der Welt gibt.Zugleich ziehen schlechte neue Platten gleich die bange Frage nach sich: Wohin geht der Pop?

Auf die neue CD der Riesenband U2 wurde vier Jahre gewartet, vom einen mehr, vom anderen weniger. Jedenfalls kündigte sich ihr Erscheinen nun seit Wochen mit dem Raunen eines flamboyanten Gefahrguttransporters an.
Nun ist die tolle Platte da. Und man muss sagen: Sie ist großer Mist
Natürlich gibt es auch Leute, die das anders sehen. Für die Deutsche Presseagentur ist sie zum Beispiel „ganz nebenbei möglicherweise die Rettung des Pop“.

Ganz nebenbei aber haben die Iren von U2 noch nie etwas gemacht, eher ist deren Sänger – der seit einiger Zeit Lack und Leder mit Sonnenbrille kombiniert und wg. seines Reichtums gar nicht mehr froh werden will – früher in Jeans und mit Friedensfahnen und wie von der Mistgabel gestochen über die Bühnen gerast.

Selbst sonst kühle Köpfe kamen damals ins Grübeln, ob es sich hier nicht um eine lupenreine Wiederauferstehung handeln könnte. Es wurde dann von dieser Band, seit sie Anfang der Achtziger richtig durchstartete, nicht weniger als die ganze Welt gerettet. Keine Minderheit zwischen Afrika, Südamerika und Alaska (Robben), die von U2 noch nicht mit Zuneigung verfolgt worden wäre.
Nur der Pop musste noch von niemandem gerettet werden, nicht mal von U2. Und dass der Pop dafür aber U2 retten würde?

Diese Hoffnung musste man aufgeben, nachdem sich die Band zwischendurch an Disco versucht hatte und dabei gewöhnliche Ironie mit den Riten eines Römischen Gottesdienstes zelebrierte, wenn auch im Vatikan die Musik besser ist, und die Texte sind dort im Vergleich zu dem meist hochtrabenden Unsinn, den U2-Sänger Paul Hewston zusammensingt, von bescheidenem Anspruch an die Schäfchen auf der Weide.
Hewston nennt sich „Bono Vox“. Wer jenes Selbstlob für Selbstironie hält, liegt hoffentlich richtig. Allerdings winkt auch Bonos Selbstironie nicht mit Zaunpfählen, sondern immer nur mit vollständigen Zäunen. Furchtbar sichtbar wurde das, als sich der Sänger – seines Jesusstatus’ angeblich kurz überdrüssig – auf Konzertbühnen Teufelshörnchen aufsetzte und mit Stadttheaterherrlichkeit ausrief: „I am Mister McPhisto!“ Ein anonym gebliebener Zuschauer kommentierte das damals bei einem U2-Gastspiel in einer Arena im Rheinischen mit dem klugen Satz: „Bevor der schlau is, is der eher noch bekloppt.“

Ein Reflex, der Angehörige der lost generation beim Anhören der neuen U2-Platte „How To Dismantle An Atomic Bomb“ überfällt, ist wieder das dumme Schämen über die achtziger Jahre, in denen aufzuwachsen man gezwungen war: Musikgruppen ließen sich mit Turmfrisuren für MTV-Videos auf die Klippen von Dover stellen, um so furchtbar aufs Meer rauszubrüllen, dass sich die Fische im Wasser die Ohren zuhielten.

Kikerikiii!
Nicht alles war nach heutigem Ermessen so schlecht, wie es damals klang und vor allem aussah. U2 hingegen sind 2004 so schlecht, wie sie immer schon waren.
Dass sie in 27 Jahren immerhin ein paar gute Songs geschrieben haben, merkte man, als sich Johnny Cash plötzlich des Liedes „One“ annahm und man dachte: „Vielleicht sind U2 ja gar nicht so schlimm, vielleicht sind die Musiker okay und du hast nur das Kikerikiii des Sängers nie ertragen?“
Für solche Leute nun ist die neue U2-Platte, die übersetzt „Wie man eine Atombombe entschärft“ heißt, besonders ernüchternd. Ausdruck und Anmutung tendieren hier in Richtung Trivialexpressionismus.
Wieder einmal steht bzw. hängt die Band auf den Fotos irgendwo ’rum, einer vom anderen jeweils einige Meter entfernt – somehow lost, ya know – in einem grobkörnigen Nichts, man schaut recht lyrisch, sicher wurde gerade die Bombe entschärft, das Licht ist so hell, und an den Rockstar-Mauken trägt Bono schwere Botten gegen die Strahlung.

Eine visuelle Selbstverwehung, die im Verein mit dem Gedröhne der Musik kein schönes, aber stimmig prätentiöses Bild abgibt. Unter den elf Liedern, die fast alle recht zackig oder nett beginnen, denen dann möglicherweise stets ihr eigener Anlass abhanden kommt und die dann jedenfalls im Schichtungsverfahren alles übereinanderpappen, was piept und pfeift, unter diesen elf Liedern ist exakt eins, zu dem man früher vor Begeisterung beim Tanzen ausgerutscht wäre.
Es heißt „Vertigo“ und klingt, wie gute, schnelle Popsongs Anfang der Achtziger nun mal klangen, zum Beispiel sehr nach „You Keep Me Hangin’ On“ von Kim Wilde.
Danke immerhin dafür.

Das Begleitheft in dieser CD ist durch die häufige Formulierung „Programming and additional synthesizers: Jacknife Lee“ ein Großmeister des Verrats. Jacknife Lee bombardiert hier mit dem Panzerkreuzer unter den Popproduzenten, Steve Lillywhite (verantwortlich seit eh und je für alles, was rummst und bummst), die Liedfragmente so lange mit Tonspuren, bis sie groß und schwer sind.
Am Ende weiß man stets nicht mehr, ob das gerade The Edge an der Gitarre oder Chopin am Flügel ist, der es derart hoch klimpern macht, dass im Kühlschrank die Milch sauer wird.
Sind U2 nicht in der Lage, einfach mal einen Haufen gute Songs zu schreiben? Nö. Gute Songs duften ja eher so nach dem Zauber des Nebenbei, „One“ war so ein Song, den nicht mal Bono zerstören konnte und der unter Cash sogar brummfunkelte.
Im Ganzen aber weht es bei U2 ständig aus der Literflasche mit dem schweren Bedeutungsparfum, auch in der Lyrik.
Bono singt „You’re the reason why the opera is in me“, und dass die Freiheit riecht wie die Fontanelle eines Neugeborenen.
Solche Duftrubbelbildchen mag bezaubernd finden, wer will. Aber eigentlich haut das doch den stärksten Mann um.
Die eingangs erwähnte Dauerfrage, wohin der Pop nun gehe, bleibt übrigens von all dem unberührt. Der macht ja eh, was er will. Nur Bono wird jetzt noch reicher und wieder nicht froh.
Folgende Spendenadressen geben U2 schließlich gewissensgeplagt im CD-Heft an: Amnesty Ireland, Amnesty UK, Amnesty USA, Greenpeace UK, Greenpeace USA, Greenpeace Rest Of The World, Burma Campaign UK, Beat Poverty in Africa UK, Beat Poverty UK.
Sonst ganz dicht? Neun Spendenadressen?
No Sir, sowas lässt man sich ungerne von einem Kerl vorschreiben, der singt, als sei ihm ein Lastwagen über die Stiefel gefahren.

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