Re: Otis´ 7" Faves

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otis
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Faves #80

50 years ago
1958 war ein sehr gutes Jahr in der Popmusik, nicht nur, was den Durchbruch Cliff Richards jenseits des Kanals und die allgemeine Aufbruchsstimmung dort anbelangte (ausführlich von W. Doebeling im Sommer im RS dargestellt), sondern es kamen natürlich auch aus den Staaten viele fantastische Singles, die weltweit Furore machten.
Auf die Klassiker aus diesem Jahr von Elvis, Jerry Lee, Chuck Berry, Buddy Holly etc. verzichte ich, dafür habe ich ein paar Singles gewählt, deren Bekanntheitsgrad möglicherweise etwas geringer sein mag.

Danny & The Juniors: At The Hop / Rock And Roll Is Here To Stay 1958 D-Electrola

1958, der Rock’n Roll schien in den Augen vieler ein Auslaufmodell. Elvis wurde nach Deutschland verschickt und Doo Wop war mittlerweile sehr weiß und zur Musik der Stunde geworden. Er besaß eine große Street Credibility, war von heißen Jungs auf den Straßen dargeboten worden, die ganz auf ihre Stimmen vertrauend einfach loslegten, auch ohne Instrumente, und ihren adoleszenten Frust durch Freude an Gesang und Rhythmus zu kompensieren suchten. Dion & The Belmonts, die Diamonds und viele andere waren bald die Stars, die, von der Straße ins Studio geholt, Millionen von Platten verkauften.
Für Danny & The Juniors gab es mit At The Hop Ende ’57 den ersten großen Hit in den Staaten, es wurde dann eine der erfolgreichsten Singles des Jahres ’58 überhaupt. Rock And Roll Is Here To Stay folgte noch im gleichen Jahr. Hierzulande hatte man die Veröffentlichung der ersten Platte verschlafen, weshalb beide Titel dann etwas später auf dieser Single gekoppelt wurden. Immerhin.
Nüchtern betrachtet passiert musikalisch nicht viel mehr, als dass im Gefüge des zwölftaktigen Bluesschemas Melodiefragmente zu den jeweiligen Harmonien zum Besten gegeben werden. Zigtausendmal gibt es so etwas. Und doch, und das ist bei jedem Wiederhören das Faszinierende, hat At The Hop einen unvergleichlich eigenständigen Charakter und einen extrem hohen Wiedererkennungswert. Hört man dann wieder genauer hin, ist da aber wirklich kaum mehr, als ein nervös rasender Beat von Piano und Drums und der vokale Drive der Jungs, garniert mit ein paar vokalen Gimmicks. Grandios gemacht das ganze also.
Dreht man die Single um, eine andere Tonart zwar, aber irgendwo das Ähnliche. Dennoch auch hier wieder eine vollkommen eigene Unverwechselbarkeit. Vielleicht um einen halben Stern schwächer als die A-Seite.

(·) Zu Nachfrage und Preis kann ich kaum etwas sagen. In bestem Zustand ist diese dt. Pressung sicher selten, aber teuer?

Ruth Brown: This Little Girl’s Gone Rockin’ / Why Me 1958 US-Atlantic

Well-I well-I well-I well I washed all the dishes and I did a lot more, I even bought the dinner at the grocery store … ich war also lieb, hab die Arbeit brav getan, jetzt hält mich nichts mehr, ich mach mich auf die Socken und geh einen rocken…
Und wie sie das tut, man muss es gehört haben.
Dass in der braven Haustochter ein solch unglaubliches Energiebündel steckt, mag man zu Beginn während des langsamen Intros kaum ahnen können. Ganz das brave Mädchen schreibt sie ihrer Mutter eine kleine Notiz, dass sie ausgehen will. Dann aber bricht es los, Rock’n Roll is here to stay. In gar nicht mehr braver Tochtermanier betet Ruth Brown die Liste ihrer erledigten häuslichen Pflichten herunter. Eine vokale Performance, die, ergänzt von scharfen Gitarrenlicks und einem großartigen Sax (King Curtis), eine der heißesten weiblichen Rocknummern ergeben, die ich kenne. In 1:40 ein musikalisches Spektakel, das in der R&R-Historie seinesgleichen kaum findet. Was für eine Musik und was für ein zeittypisches Mädchenbild!

(·) 20 $ wird man für ein gutes Exemplar wohl ausgeben müssen. Ein Schnäppchen angesichts des Hörerlebnisses. Meine obige Single hat leider das wol, ansonsten klingt sie noch sehr schön.

Stonewall Jackson: Waterloo / Smoke Along The Track 1958 D-Philips

Als ich Waterloo auf einem Sampler entdeckte, entsprach es meinem damaligen Verständnis von Country in keiner Weise. Es fiel komplett aus dem Rahmen. Eine rhythmisch höchst eigene, beinahe genrefremde Nummer, die es dennoch bis an die Spitze in den Country-Charts brachte und dann auch Crossover für Furore sorgte.
Im Refrain ist nicht ansatzweise Leichtigkeit zu hören, kaum Swing, eher rhythmische Straightness bis zum Stehkragen. Ein dumpf plumper, harter On Beat, wie auf der Waschmitteltonne geschlagen, beherrscht den Chorus, beileibe nicht typisch für den C&W dieser Zeit. Hinzu kommt, dass Jacksons Stimme gedoppelt und die Gesangslinie mit Chor unterlegt wird, was dem Ganzen noch mehr vordergründigen Sing-along-Charakter verleiht.
Und doch, da passt etwas nicht. Zum einen ist es der Text, in dem es um die individuellen Waterloos geht, die das Leben so mit sich bringt. Zum anderen hat dieser gradlinig stumpfe Beat im Refrain so ganz und gar nichts auftrumpfend Selbstgefälliges an sich. Eher scheint er, ganz im Sinne des Titels, ferne Kanonenschläge andeuten zu wollen. Vor allem in den Strophen wird er dann auch durch das dominante Banjo rhythmisch arg konterkariert.
So passt dann alles schließlich doch ganz wunderbar zusammen, der dumpfe Beat, die mitreißende Melodie und die lebensweise Erkenntnis von den vielen Niederlagen, die es auszuhalten gilt.
Die Flip ist weitaus lockerer gehalten, eine feine flotte C&W-Nummer.
Obwohl Stonewall Jackson sich jahrzehntelang in der Country Hall of Fame halten konnte, ist Waterloo sein einziger wirklich großer Hit geblieben.
(·) Ich bin ziemlich stolz auf meine dt. Ausgabe dieser Platte. Sie dürfte nicht häufig sein, irgendwann fiel sie mir in die Hände. Ich kann aber beim besten Willen nicht sagen, wie rar oder gesucht sie ist. Letzteres wahrscheinlich eher weniger, was den Preis im Rahmen halten dürfte.

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