Re: Otis´ 7" Faves

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otis
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Faves #4


Them: Here Comes The Night / All For Myself UK-Deram (´65)

Yeah, here it comes. Man mag es mir nachsehen. Denn seit ich sie zum ersten Mal gehört habe, bin ich hin und weg von dieser Platte. Dieser wunderbar selbstbewusst auftrumpfende Auftritt: „wow…here it comes…here comes the night!!“
Bei dieser Konkurrenz hat es auch Gloria nicht leicht, obwohl selbiges natürlich wichtiger und letztlich viel überlebensfähiger ist als diese Platte.
Dennoch, dieser Song hat eine Pop-Power, die mich immer wieder staunen lässt. Erst mal ist es dieser freche Rhythmuswechsel zwischen Strophe und Refrain, der auch damals alles andere als üblich war. Hinzu kommen Morrisons Vocals, die Gitarre, die Orgel, diese Melodieführung, alles einfach macht die Platte für mich zu einem Highlight der 60´s. Ganz großartig!
Die Flip All For Myself ist dagegen R&B-Them pur. Bluesorientierter Rock mit feinster Schärfe und Morrison in Hochform.

Ich weiß, dass das da oben leider nicht das Original ist, jenes ist auf Decca erschienen. Dennoch würde mich interessieren, von wann diese Deram-Nachpressung ist. Tops, sag mal!
Vielleicht sind hier einmal ein paar Worte zum Thema Original, Reissue etc. angebracht.
Ich persönlich sammle eigentlich immer die Originale und fasse Reissues (sprich spätere Neu-Ausgaben) bei Singles kaum an.
Bei Elvis habe ich aber schon geschrieben, dass das mit den „späteren Ausgaben“ so eine Sache für sich ist. Für mich sind Singles aber so lange Originale, wie sie das erste Label mit der Original-Nummer haben.
Nun aber sind die deutschen Ausgaben der Singles auch im Grunde keine Originale, da sie halt nicht im Herkunftsland erschienen sind. Manch einer sammelt nur diese, und das sicher mit einigem Recht.
Ich persönlich ziehe aber die dt. Ausgaben fast immer vor, da sie zum einen im Gegensatz zu den meisten meistens UK- oder US-„Original“-Versionen ein Bildcover haben, und zum anderen, weil ich zu den dt. Ausgaben einen ganz eigenen, besonderen Bezug habe. Ich habe in den Läden in den Singles geblättert, habe sie bei Freunden gesehen und gespielt, habe auf Börsen mit neidischem Blick manch rare, unbezahlbare Bildhülle gefunden, habe Diskographien durchstöbert und, was mir auch sehr wichtig ist: die dt. Pressungen stehen für mich auch dafür, dass nicht irgendwo nur in UK oder US das gelobte Land der Popmusik ist/war, sondern dass das alles auch hier stattgefunden hat. Anders meinetwegen und in mancher Hinsicht nur auf Platte. Aber es hat stattgefunden, für den der es wollte.
Man mag kaum glauben, was von dt. Plattenfirmen, auch und besonders in den 50´s und 60´s, alles in Lizenz veröffentlicht wurde. Das Beispiel mit der ersten Beach Boys-Single oben habe ich schon angeführt. Ich muss gestehen, dass mir die dt. Ariola viel mehr wert wäre als die US-Candix-Ausgabe (unabhängig von irgendwelchen Katalogwerten). Dass man das ganz anders sehen kann, verstehe ich, aber so herum passt es bei mir.
Aber auch die frühen Them-Singles z.B. sind als dt. Pressungen praktisch kaum zu bekommen. Lasst euch da nicht von Katalogwerten täuschen. Aber dazu ein anderes Mal.


Shop Assistants: All Day Long + Switzerland / All That Ever Mattered UK-Subway 1985

Hand coloured by a Shop Assistant, steht innen in der Hülle. Gemeint ist das gelbe Geschrappel bei Shop Assistants oben. Sowas lässt mein Herz natürlich höher schlagen. Irgendwie ein Unikat. Der direkte Draht zum Musiker. Albern natürlich, aber ich liebe so etwas. Es ist wie ein handgeschriebener Brief an einen.
Und diese EP mit 4 Titeln braucht sich auch musikalisch in keiner Weise zu verstecken. Die Shop Assistants waren eine schottische Indie-Band um 1985, vier Mädels und ein Junge. Sie haben eine tolle LP und ein paar 7“ veröffentlicht. Allesamt klasse.
Die Musik: Brit-Pop der Mid-80s-Phase, dazu noch mädelsbestimmt. Also melodiös und schrammelig, kess und fordernd. Die jeweils ersten Tracks der beiden Seiten hätten gut und gern einen formidablen UK-Top20-Hit abgegeben, aber ´85 war man noch nicht so weit. 1986 ging es dann mit der ersten ( ?? ;) je nachdem, wie man zählt!) „Britpop“-Welle richtig los. Die Platte dürfte einigermaßen selten sein, wenn ihr sie also mal seht, unbedingt zugreifen! Oder in diesem Fall mal auf die LP ausweichen. J


Shangrilas: I Can Never Go Home Anymore / Bulldog F/NL-Vogue 1965

Die Shangri-Las waren eine der wenigen US-Trutzburgen gegen die British Invasion, dafür mussten sie aber auch schon sehr gut, nein, einzigartig sein. Und das waren sie natürlich.
Da es mir derzeit noch schwer fällt, mich zwischen ihren Songs zu entscheiden, „spiele“ ich hier erst mal die eine oder andere Single, die ich besitze. Es fehlen mir allerdings noch ihre beiden größten Hits auf 7“ (es gibt sie wie San am Meer als spätere Reissues).
Dabei sind die Songs wirklich nur als Singles zu genießen. Alles andere funktioniert nicht. Praktisch allesamt sind Drei-Minuten-Opern, die nichts vor oder nach sich dulden, es sei denn den Plattenwechsel.
Aber der Reihe nach, manchen mögen die drei bis vier Damen (ein Zwillingschwestern- und ein Schwesternpaar, später fehlte mal die eine oder andere) ja nicht so geläufig sein.
Besagte Mädels fielen wohl noch im Teenager-Alter (genaueres Alter weiß ich nicht) einem George Morton in die Hände, welcher sie bei dem neuen Leiber/Stoller-Label „Red Bird“ unterbrachte, nachdem er die beiden Label-Paten mit einer mehr als siebenminütigen, selbstproduzierten, opulenten Version von Remember (Walking In The Sand) von sich und den Mädels überzeugt hatte. Es wurde neu produziert und auf Anhieb ein Riesenhit. Von da an nahm die Erfolgsstory ihren Lauf. Innerhalb von zwei Jahren (64/65) hatten sie drei Top-Ten-Hits, wovon dieser hier ihr letzter war.
Wieder handelt es sich um eine typische „Shadow“ Morton-Produktion, die es versteht, das Erwachsenwerden zu einer existenziellen, ja, lebensbedrohenden Angelegenheit werden zu lassen. Die kleinen alltäglichen Teenager-Dramen sind bei ihm immer Tragödien, die natürlich nichts weniger als eine außerordentliche musikalische Behandlung erfordern.
Man mag einwenden, das alles sei der ultimative Kitsch, aber ich halte dagegen, dass es in einer derartigen Unschuld bei gleichzeitig extremer Überzeichnung so überzeugend rüberkommt, dass ich zumindest vor diesen kleinen Wunderwerken einfach nur geplättet dastehe und hier eine Definition von Pop höre!
Ging es bei den älteren Hits (Remember, Leader of the Pack, Out In The Streets, Give Us Your Blessings…) nicht selten um das Ableben junger Menschen auf Grund von Liebe etc. so ist der Inhalt dieses Songs, eine etwas verschachtelte Warnung davor, sein Elternhaus zu verlassen, wenn man glaubt, dort vor Langeweile umzukommen. Eigentlich eher doof von der Aussage her, aber die Story wird halt aus der Sicht des Mädels erzählt, das eben diese „fürchterliche“ Erfahrung gemacht und jetzt ohne Mama dasteht. Und genau an dieser Stelle ist Shadow Morton in seinem Element. Diese Tragik weiß er, wie kein anderer, musikalisch umzusetzen. Es könnten sich einem die Haare sträuben, wenn man einzelne Textzeilen liest, (wobei es auch wunderschöne gibt).
You wake up every morning, go to school every day,
Spend your nights on the corner just passing the time away.
Your life is so lonely like a child without a toy.
Then, a miracle…a boy.
And that’s called „glad.“
Now, my mom is a good mom and she loves me with all her heart.
But she said I was too young to be in love and the boy and I would have to part.
And no matter how I ranted and raved, I screamed, I pleaded, I cried,
She told me it was not really love but only my girlish pride.
And that’s called „bad.“

Hört man dies alles von Mary Weiss gesungen bzw. rezitiert, dann bleibt nur noch das Staunen darüber, dass so etwas möglich ist und so wunderbar funktioniert.
Wir werden noch öfter Gelegenheit haben, diese feine Band zu hören, beizeiten dann mehr dazu, es soll ja hier nicht zu lang werden.
Die Flip „Bulldog“ ist ein echter Leiber/Stoller-Shouter, rhythm-&bluesig und treibend. Ja, so etwas konnten die Damen auch!

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