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1. Gimme shelter (*****)
2. Love in vain (****)
3. Country honk (** 1/2)
4. Live with me (****)
5. Let it bleed (*** 1/2)
6. Midnight rambler (*****)
7. You got the silver (**** 1/2)
8. Monkey man (*****)
9. You can’t always get what you want (*****)
„I tell you love, sister, it’s just a kiss away“
Ich schätze „Let it bleed“ nicht ganz so sehr wie seinen Vorgänger, da es sich ein paar kleinere Schnitzer erlaubt, aber dennoch: Starke Vorstellung. „Gimme shelter“, diese kräftige Majestät von Track, ist wahrscheinlich eine Aufnahme, die selbst die Toten in ihren Gräbern wieder ins Leben rüttelt. Der Anfangsriff ist wie ein zartes Knistern im Olymp und diese „Ho-hos“ vergisst man bereits nach dem ersten Hören nie wieder. Langsam gewinnt der Song an Fokus, wird dynamischer und Jagger singt im Quasi-Duet von den Straßen der Gegenwart, die wie brennende Kohle lodern – und der Suche nach Schutz („War, children, it’s just a shot away“). Es gibt darin eine ganze Menge magischer, düsterer, gewaltiger Rhythmus- und Percussionelemente und es ist eine Freude dem Gesang zu folgen, der immer energischer wird. Im Hintergrund melodiert Nick Hopkins dezentes Klavier und mit jedem Takt fühlt man den eigenen Körper mehr in Rotation geratend. Ganz zu Ende endet Jagger mit einem Zurückgreifen auf die ersten Zeilen, aber aus dem Krieg in der Welt ist Liebe geworden, Liebe, die nur einen Kuss entfernt ist. Was für ein Song! Zugebenermaßen gehen die Hälfte der Credits aber geradewegs auf die Rechnung von Marry Clayton, die in ihrem betörend aufstrahlenden Solo im zweiten Teil allen anderen die Schau stiehlt. Gebt der Frau einen Preis.
Mit „Love in vain“ fährt das Album alle Geräte wieder runter, eine zarte Gitarre huscht herein und Jagger singt von einer endenden Beziehung – er begleitet sie zum Bahnhof, alle Liebe ist vergebens, er sieht die Lichter des Zuges und weiß, dass es vorüber ist. Aber halt mal: War das nicht schonmal da? Es ist fast ein wenig dreist, dass die Nummer fast die identische Schiene fährt, wie schon „No expectations“ von „Beggars banquet“. Dass nach diesen Auftakten kein Song mit ähnlicher Intensität mehr folgen kann und man als Musiker einen anderen Weg sucht, geschenkt. Aber die Songs ähneln sich derart, dass ich lächeln muss. Nun gut, bei letzterem war es immerhin ein Flughafen, von dem er zuletzt abreiste, hier sieht er ihr hinterher, als sie auf Schienen von dannen zieht. Ich mag dennoch Jaggers hier stellenweise herrlich kehligen, quäkigen Unterton, die Phrasierungen in „It’s hard to tell, it’s hard to tell“ (hihi!), das verzärtelte Ende und Ry Cooders Mandolinenbegleitung. Was ich über „Country honk“ nicht sagen kann. Es gibt ein paar Verkehrs- und Fahrtgeräusche, eine relativ enervierende Fiddle, einen undeutlichen, leicht süffisanten mehrstimmigen Gesang und einen Refrain, der eher nach zu lang geratener Barmukke klingt, als nach einem pochenden Rock’n’Roll Album. Eigentlich ein okayer Song, er passt aber zu „Let it bleed“ in etwa so sehr, wie ein irischer Polka auf einer Pink Floyd Platte. Der stechende Bass von „Live with me“, umrahmt von rhythmischen Drums passt dann wieder besser – auch wenn Jagger hier, ebenso wie in „Monkey man“, ein Thema aufgreift, das es auch bei „Dear doctor“ in dieser Art schon ähnlich gab. Eine leicht schrille Selbststilisierung als irrer Typ mit noch verrückteren Freunden, die Wasserratten jagen, von der Köchin, die es in der Speisekammer mit dem Butler treibt und einer französischen Stripperin – eingebettet in ein paar stolzierende Strophen, einen fantastischen Refrain und umrahmt von schneidenden Gitarrenriffs und einem kräftigen Saxophonsolo. „Don’cha think there’s a place for you/In between the sheets?“
Der Titeltrack hat mich leider nie ganz erreicht. Der Gesang ist leicht schräg und angenehm schmissig und die Story könnte nicht großartiger sein. Jagger bietet freizügig seine Schulter an und erzählt von galanten Damen, die sich gerne auch ihrerseits aufknöpfen – grandios, wie er „lean on“ ausspricht, welche Hintergedanken „parking lot“ weckt, wie er mit der Doppeldeutigkeit von „coke“ (Cola/Koks) noch ein wenig Drogennebel in den Song pustet und alles unmissverständlich auf die Schlüsselworte zubrodelt: „You can bleed all over me/You can cum all over me“. Der Song ist relativ schwummrig und leicht benebelt, es gibt ein paar aufregende Riffs, die im stickigen Zimmer nachhallen, dazu ein trippelndes Klavier – musikalisch fehlt es mir aber dennoch an Dynamik. Alles tritt etwas zu sehr und auch zu lang auf der Stelle und kommt erst zu Abschluss in Fahrt. Kickt mich nicht so ganz.
Den „Midnight rambler“ mit der dominanten, düsteren Mundharmonika und den verhuschten Percussions mag ich dafür umso mehr. Die Atmosphäre erinnert mich etwas an „Jig-saw puzzle“, auch wenn es hier noch ein weniger schwüler zu Werke geht. Des Nachts geht hier der Midnight rambler/gambler um die Häuser und springt über die Gartenzäune. Ein relativ trostloser Song zunächst, denn keiner hat ihn je gesehen. Die Instrumente liefern eine dazu passende, angenehme Beklemmung, leisten sich verstörende, verzerrte Feedbackorgien und platzen am Ende gemeinsam heraus, als sich der Umhang lüftet und das Messer den Hals runterfährt. Highlights: Die ganz ruhige Konversation der Instrumente im Mittelteil, das Ineinanderfallen der vielen Stimmen und die generelle Stimmung, die mich daran denken lässt, wie etwas von innen aufplatzt.
Keiths Solohymne hemmt diese Düsternis. „You got the silver“ ist ein ganz zarter „Lovesong“ zu zwei Gitarren, relativ schwärmerisch („You got my heart you got my soul/You got the silver you got the gold“) und angenehm innig, wenn die Gitarren sehnsüchtig zu eiern beginnen und rührig Schleifen drehen. Und dann kommt Hopkins große Sternstunde: Der Auftakt des „Monkey man“, begleitet von Rasseln, pulsierenden Gitarren und dem vielleicht feinsten, inspirierndsten Spannungsbogen des Albums. Die Slides des Songs sind großartig, ebenso der lange instrumentale Teil und die Tatsache das hier kurz eine Melodie auflodert, die bereits auf „Beggars banquet“ zu hören war. Ein irrer Song, mit Mick als gurgelndem Antiheld in Affenkostüm, am Ende ulkig krächzend und würgend, halb gequält, aber mit viel Witz („Well, I am just a monkey man/I’m glad you are a monkey woman too/Well, I hope we’re not too messianic/Or a trifle too satanic/We love to play the blues“). Ein großer Chor läutet zuletzt „You can’t always get what you want“ ein – und es könnte kaum besser sein. Grandios, wie die Dame der Szene mit Weinglas hereinkommt, zu ihren Füssen der ungebundene Typ – und wie der Chor, als hätte er sich beim Singen verlesen, bei besagter Zeile kurz stockt. Fantastisch ebenso, wie sich Horn, Klavier und Gitarren verdichten, wie Percussions eingewoben werden und der Song immer wieder zu seiner Grundmelodie zurückfindet, ehe die Stimmen ihn wieder in Schwebe bringen. Am Ende hat sich die Szene verändert und die Dame kommt erneut herein, diesmal mit einem Glas, in dem ein blutender Mann schwimmt. „She was practiced at the art of deception/Well I could tell by her blood-stained hands“. Diese Art von Abrechnung passt bestens zu „Let it bleed“, eigentlich bleibt nun nur noch die Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen diesen infernalisch-himmlischen Chorälen und der nur ein Jahr danach erschienenen „Atom heart mother“ Aufnahme gibt, die stellenweise ganz ähnlich klingt.
Eben gelesen: Zumindest soll Tourmanager Sam Cutler der Band Ron Geesin angeraten haben, der einige der orchestralen Arrangements für „Atom heart mother“ entworfen hat. Ich verwette meine linke Hand, dass Pink Floyd vom letzten Track dieses Albums inspiriert wurden. Falls nicht, let it bleed.
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Hold on Magnolia to that great highway moon