Antwort auf: The Rolling Stones – Exile On Main Street

#2376163  | PERMALINK

wahr

Registriert seit: 18.04.2004

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Side 1:

1. Rocks Off ***1/2
Gut ist die Stelle, wo der Song absackt wie der Protagonist („Feel so mesmerized, can’t describe the scene“), ansonsten mag ich an den Stones von 1971-76 ja einiges, aber die Rocker eher nicht.

2. Rip This Joint **1/2
Schnelles 50s Rock’n’Roll-Gerumpel, das zu nichts führt.

3. Shake Your Hips ****
Hat weniger Groove als das Harpo-Original, aber dafür was Gespenstisches. Als würden Gerippe im Takt klappern. Kann ich immer noch gut hören.

4. Casino Boogie ****
Stoischer Stomper, gefällt mir gut. Auch diese so assoziativ in den Song geschmissenen Versfetzen halten mich bei der Stange. Ende dann gut mit der Slide.

5. Tumbling Dice ****
Eiert gekonnt vor sich hin. Watts hat hier gute Stellen, den berühmten verkackten Drumeinsatz, den er verpasst und wie ein zeitreisender Gravitationsphysiker aus der Zukunft dann noch mittels Raumkrümmung irgendwie wieder zurück ins Taktschema biegt.

Side 2:

1. Sweet Virginia *****
Wenn Country, dann Stones fast immer gut (gewesen). Song war noch aus der Decca-Zeit übrig und hat hier eine schöne Umsetzung gefunden. Das muss ich den Exile-Stones sowieso zugute halten: Selbst tendenzielle ‚front porch‘-Songs kriegen hier immer noch einen guten Tritt verpasst.

2. Torn And Frayed ***
Sagen wirs mal so: Ich bin noch nie schweißgebadet aus unruhigem Traum aufgeschreckt, mit dem unbedingten Bedürfnis, sofort „Torn And Frayed“ hören zu müssen.

3. Sweet Black Angel ***
Mochte ich früher mal ganz gerne, ist mir aber irgendwie zu gleichförmig umgesetzt. Schön ist die Stelle, wo Jagger mit sich selbst singt.

4. Loving Cup *****
Wieder mischt Jimmy Miller bei den Percussions mit. Ich wette, von ihm kommen auch die mächtigen Trommelschläge zwischen „Give a little drink…“ BAMM BAMM BABAMM!!! „… of your lovin‘ cup!“. Ich würde auch wetten, die Drums inklusive der gleichen Effekte auf „Salt of The Earth“ hat er ebenfalls zu verantworten. Unverkennbar Jimmy Miller. Edit: War dann aber doch Watts an den Drums.

Side 3:

1. Happy *****
Jimmy Miller spielt wieder Drums, wieder ein 5-Sterne-Ding. Millers Spiel ist enorm spannend, er spielt um den Beat herum, umkurvt ihn mit variablen Breaks (höre dazu auch die Studio-Fassung von „Can’t Always Get …“), total meisterhaft. Sowas kann Watts gar nicht auf diesem Niveau (Watts kann dafür halt andere Sachen, also gaaanz ruhig bleiben, ihr Micks und Keiths und Anitas hier).

2. Turd On The Run ***
Würde man mich auf der Straße fragen, wie „Turd On The Run“ gehen würde, ich wüsste es schon nicht mehr. Dabei habe ich es eben erst gehört.

3. Ventilator Blues ****
Ist zwar einfach nur so ein Blues-Schema, aber das setzen sie irgendwie locker und kraftvoll durch.

4. Just Wanna See His Face ***1/2
Klingt fast wie field-recording während eines Feldgottesdienstes. Dagegen ist nichts zu sagen, einer der besten Showdowns der Filmgeschichte spielt während eines Feldgottesdienstes („The Man With The X-Ray Eyes“, 1963). Hier gefällt mir die geisterfüllte Gospelstimmung, sowas gibt’s nämlich sonst bei den Stones nicht. Alles so komisch unwirklich, wie wenn man einen Stones-Track nur träumt, den es dann aber in der Realität gar nicht gibt. Ein Extrastern für die Irritation.

5. Let It Loose *****
Ein Höhepunkt zweifellos. Tolle Bläser, toller Song, toller Backgroundgesang. Trotzdem kommt so eine abgefuckte Am-Boden-Stimmung rüber. Der Zwillingstrack zu „Shine A Light“.

Side 4:

1. All Down The Line ***
Ich bin einfach kein Freund der Rock-Dings der Stones zu jener Zeit.
Jimmy Miller an den Percussions reißt es auch nicht raus.

2. Stop Breaking Down ****
Robert Johnson. Song hat was Sperriges an sich, das mag ich. Er verweigert sich selbst dann noch irgendwie, als die Mannschaft ihn zum Ende hin ins Gradlinige treibt.

3. Shine A Light *****
Bestes Stück des Albums, denke ich manchmal. Drums spielt der Miller mal wieder. Wieder diese spannenden Stellen („When you lay drunk“ -Off-Beat-Schlenker- „… in the alley Baby with your clothes all torn“ -verzögerter Break- etc.pp.). Mick Taylor spielt zum Ende ein inspiriertes, jagendes Solo.

4. Soul Survivor ***1/2
Gut, weil der indifferente Soundmischmasch das Ganze irgendwie sonisch adelt und Jagger keine Chance hat, sich so Leader-mäßig nach vorne zu drängeln (kein Wunder, dass sein Ego den Mix nicht mag). Alles ist verschmiert und undeutlich. Das schafft Geheimnisse, die Jahrzehnte überdauern können. Ich hoffe, spätere Remaster haben diesen Effekt nicht in Richtung Klarheit verhunzt.

Fazit: Dieses Südfrankreich-Gedöns mit Drogen, Gästen, feuchtem Keller, Prügeleien mit Hafenarbeitern und Nazi-Thrill interessiert mich immer weniger. Erstaunlich finde ich nach wie vor, wie es möglich war, dass diese Engländer eine so durch und durch amerikanische Platte machen konnten. Für ein echtes Stand-out-Album sind mir aber ein paar Langweiler zuviel drauf. ****