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Originally posted by Aquarius@20 Sep 2004, 10:59
Hier wieder eine Frage:In Sergio Leones „Once upon a time in America“ gibt es eine kurze Szene, in welcher der gealterte Noodles (Robert de Niro) unter der Brooklyn Bridge eine Frisbeescheibe oder etwas ähnliches fängt. Wer wirft sie ihm zu? Was soll das überhaupt?
Der Frisbee unter der Brooklyn Bridge (wenn sie es denn ist, ich bin mir da momentan noch nicht so sicher) im Jahr 1968 ruft bei Noodles eine Erinnerung aus den 20er Jahren hervor, die ebenfalls mit einem Frisbee eingeleitet wird. Kann sein, daß das in den verschiedenen (teilweise gräuslich verstümmelten) Versionen des Films nicht ganz so deutlich wird [ich glaube mich zu erinnern, daß es selbst in der DVD-Version so ist, daß nach dem Frisbee gleich Noodles Entlassung kommt, was dann in der Tat ein wenig irritierend wirkt – aber ich habe den Film momentan nicht hier und kann das von daher auch nicht nachprüfen], aber zumindest hatte Leone das für seine anvisierte, nie realisierte 6-Stunden-Fassung so geplant, daß ein 1968 geworfener Frisbee in den 20ern gefangen wird. Und das ist gar kein atmosphärischer Quatsch, wie unsere beiden Ober-Film-Gurus jetzt vielleicht wieder unken werden, sondern hier fungiert ein unschuldiger Gegenstand aus unserem Alltag als Auslöser für eine ganze Lawine von Erinnerungen.
Ich finde das, wie sowieso alle Übergänge und Zeitsprünge in diesem Film, extrem gelungen konstruiert – mal ganz davon abgesehen, daß Marcel Proust in der „Verlorenen Zeit“ auch nicht anders gearbeitet hat: Einmal erlebte Szenen leben anhand winziger Hinweise nach Jahren wieder im Geiste des Helden auf (der Fachbegriff hierfür lautet übrigens „episodisches Gedächtnis“).
Tief im Gehirn verborgene Erinnerungen holen uns von Zeit zu Zeit wieder ein, egal wie sehr wir das Vergangene auch verdrängen wollen. Der Frisbee dient somit als einer von mehreren Schlüsseln zur Vergangenheit in diesem Film. Der in seiner Trauer lebende Noodles wird einmal mehr von den Erinnerungen an (vermeintlich) bessere Zeiten eingeholt. Wir können unseren Erinnerungen nicht entkommen und haben keinen Einfluß darauf, von welchen Umwelteinflüssen sie hervorgerufen werden.
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„Kreuzberg ist so hart, dass sogar die Steine sagen: Wir sind zu weich für die Strasse. So hart ist Kreuzberg.“ (Catee)