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tolomoquinkolomMESSIDOR ist für mich ein schweizer Kinowunder und einer meiner Lieblingsfilme [siehe #462]. Alain Tanner rechnet in diesem Meisterwerk radikal mit dem oberflächlichen Postkartenidyll der Schweiz ab. Die stets präsente Landschaft (viele Panoramaaufnahmen) wirkt fast immer bedrohlich und kalt und entspricht der Eiszeit der Herzen; auch jener zwischen den Generationen. In hellen Farben wird die dunkle Seite der Eidgenossen und ihre Kuhglockenmaskerade vorgeführt. Geistiger Enge (es gibt auch viel Beton in dem Film) steht der Wunsch nach Freiheit, Harmonie und les petites fugues (übrigens Titel eines weiteren großen Kinoerlebnisses aus der Schweiz) entgegen.
Die Wärme in diesem Film geht allein von den beiden Mädchen Jeanne und Marie aus – zwei Fremden im eigenen Land – denen selbst keinerlei Wärme entgegengebracht wird. Diesem Kontrast begegnet man auch in der Filmmusik von Arie Dzierlatka: romantische Reiselust-Lyrik (aus Schuberts Winterreise) trifft auf ein unabwendbares Drama, das aus Aussteigern – die sich in einem anderen Filmleben in einer Rohmer-Geschichte auch gut bewegt hätten – Flüchtende werden lässt. Tanner gelingt hier ein europäisches Pendant zu amerikanischem Mythenkino wie SUGARLAND EXPRESS oder BONNIE AND CLYDE und liefert obendrein die Vorlage zu Ridley Scotts THELMA & LOUISE.
Interessant – ist das verbürgt mit „Thelma & Louise“? Der Vergleicht macht natürlich Sinn, aber weiss man, ob Scott den Film von Tanner gesehen hat?
Und zum Beton etc… kennst du „Reisender Krieger“? Ich hab ihn neulich zweimal gesehen (den Director’s Cut von 2008, der im Januar und im April in Zürich gezeigt wurde) – hab das im „letzten Film“-Thread kurz erwähnt. Da ist das alles noch viel stärker umgesetzt mit der Kritik an der Zersiedelung, den toten Dörfern/Städten/Agglomerationen/Autobahnen… und der Film ist ein Feuerwerk an unglaublichen Ideen, Zufällen, Realsatiren… für mich wohl das Kino-Highlight dieses Jahres, ganz egal, was noch kommen wird!
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