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wahr
Friedrich
Captain Beefheart – Safe As Milk (1967)
Weißer Fake Blues mit Kratzstimme.
Beefheart ist immer gut zu gebrauchen, wenn wieder jemand den Quatsch behauptet, „nur Schwarze könnten Soul & Blues singen“.
Würde ich nie behaupten. Ich habe aber eine noch kürzere, noch bessere Tagline für Safe As Milk anzubieten: Art Blues. Auch wenn die wohl noch besser auf Trout Mask Replica zutrifft.
Antonio Carlos Jobim – Stoneflower (1970)
Saudade im über-sophisticateten CTI Sound. Könnte auch als Fahrstuhlmuzak missverstanden werden.
Ich habe noch nie Jobim im Fahrstuhl gehört. Tolle Platte, die ich ebenfalls hätte nennen können.
Ich habe Jobim auch noch nie im Fahrstuhl gehört. Eine Bekannte von mir hat Stoneflower jedoch mal als Fahrstuhlmusik bezeichnet. Aber die hat eh keine Ahnung und ist deswegen auch nur eine Bekannte und keine Freundin.
Van Morrison – Moondance (1970)
Van Morrison lebt offenbar in aller Ewigkeit in einer mythisch verklärten Jugend in Belfast . Kann man hier sehr schön hören.
Aber damals war er ja auch noch fast ein Jugendlicher. ;) Du scheinst (wie ich) zu denjenigen zu gehören, die nicht „Astral Weeks“ präferieren. Ich finde „Moondance“ auch besser. Mein Favorit von ihm ist „Common One“. Da lässt er dann endlich die Jugend hinter sich.
Astral Weeks klingt für mich etwas bemüht. Da hat Moondance doch einen sehr viel gelasseneren Fluss. Common One kenne ich nicht, aber viele VM-Alben sind wohl sehr gut. Into The Music hatte ich mal und mochte ich sehr. Auch Hymns To The Silence mochte ich sehr. Die ist voll nostalgisch. Es gibt immer so etwas Träumerisches bei Van Morrison.
Sly& The Family Stone – There’s A Riot Going On (1971)
Der Aufstand wird wegen Drogensucht des Anführers abgesagt.
Da fand ich immer nur einzelne Songs gut. Das Album als ganzes hat mich nie erreicht. Weiß auch nicht, warum …
Klingt ja auch ziemlich zusammengebastelt, aber vielleicht ist es gerade dieser verschlissene und brüchige Charakter der Platte, die sie so besonders macht.
Miles Davis – On The Corner (1972)
Abstrakter Jazz-Funk kurz vorm Kabelbrand.
Genau und gut beschrieben. Tolles gecuttetes Gewimmel.
Ja, aber eben nicht so wimmelig wie Bitches Brew und viel knackiger.
Stevie Wonder – Talking Book (1972)
Reifer Soul in den besten Jahren.
Da schlägt mein Herz insgesamt eher für „Songs in The Key …“, aber auf Talking Book ist Wonder auch toll. Muss ich mal wieder hören.
Songs In The Key … kenne ich nicht, und kann daher nichts dazu sagen. Die SW-Alben dieser Periode (Anfang bis Mitte 70er) sind wohl alle sehr gut.
Can – Future Days (1973)
Wenn die Zukunft so frei und entspannt daher fließt wie auf Future Days, kann sie kommen. I love Damo Suzuki.
Jep, die hätte ich auch statt „Tago Mago“ nennen können.
Hier gilt ähnliches wie bei Stevie Wonder: Die Can-Alben der frühen 70er sind alle sehr gut.
Iggy Pop – Lust For Life (1977)
Iggy Pop hat keine Chance aber er nutzt sie und poltert sich durch West-Berlin.
Ich wünschte, er wäre noch etwas polteriger gepoltert. Dann wäre sie vielleicht nicht so häufig auf Partys gelaufen.
The Passenger ist oft auf Partys gelaufen, und das kann ich auch fast nicht mehr hören. Aber LFL hat ja noch viel mehr und anderes zu bieten. Mein Lieblingsstück war immer Fall In Love With Me: „You look so good to me / Standing out in the street / With your cheap fur on / Or maybe your plastic raincoat / And your plastic shoes / They look good too / Standing in the snow / You’re younger than you look /Fall in love with me“
Steely Dan – Aja (1977)
Perfection and Grace and Decadence
Ich gehöre eher zu der „Gaucho“-Fraktion, denn „Gaucho“ ist ihr „Avalon“.
Gut beobachtet und treffend formuliert. Ich finde Gaucho auch gut.
Neil Young – American Stars ’n Bars (1977)
Eigentlich ein Kuddelmuddel von Folk, Country, Hard Rock aber vielleicht gerade deswegen eine so gute Neil Young Platte. Tolles Cover!
Tolle Platte. Wir haben uns darüber schon mal unterhalten, glaube ich.
Nowhere, Tonight, Beach, Zuma: Alles tolle Platten! Amercan Stars ist eigentlich a mess. Aber vielleicht mag ich sie genau deswegen. Und sie enthält Star Of Bethlehem, Hurricane, Bite The Bullet, Will To Love und andere Eigenartigkeiten, die man auf anderen NY-Alben so nicht findet. Selbst Hey Babe geht mir ja nicht mehr aus dem Kopf.
Suicide – 1st Album (1977)
Post-Watergate, Post-Vietnam und kurz vorm Stromausfall. Die Filmmusik zu Taxi Driver hat Bernard Herrmann geschrieben. Suicide hätten auch gut gepasst.
War bei mir in der engen Auswahl der Top100. Wär verdient gewesen. Ich bewundere ihren Ansatz Simpel-Elektronik + Rockabilly-Leidenschaft und wie sie das im Verlauf der Platte immer reduzierter durchziehen. Eine wahrhaftig radikale Platte, die heute noch wirkt.
Ich habe mich darüber im Forum mal ausgiebig ausgelassen. Wahrscheinlich war Suicides erste genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Nur das Publikum war nicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Suicide standen damals ziemlich einsam da in einer von Gitarren dominierten Popmusik. Und dann beschimpften Alan Vega auch noch das Publikum! War vielleicht doch mehr Kunst als Pop. Die zweite Suicide ist auch sehr gut.
Marvin Gaye – Here My Dear (1978)
Szenen einer Ehe über vier Plattenseiten ausgewalzt.
Habe ich hier im Regal stehen, hat mich aber nie erreicht.
Ein musikalischer Langstreckenläufer ohne Hits. Ich hätte auch I Want You oder Let’s Get It On nennen könne, die gehen mehr nach vorne los und haben MGs wahrscheinlich pathologische Erotomanie zum Thema. Here My Dear ist da eben etwas anders. Vielleicht habe ich sie deshalb gewählt. What’s Going On kann ich jedenfalls nicht mehr hören.
Sun Ra – Lanquidity (1978)
The Sun Man goes electric.
Habe ich lustigerweise auch, ist recht groovig. Ein Freund von mir ist großer Sun Ra-Fan und hat mir immer mal das ein oder andere aufgenommen. Ich habe den Dreh nie so richtig bekommen. Aber jetzt, wo ich doch seit einiger Zeit mehr in freieren Jazz-Gefilden wildere – gerade läuft wieder Peter Brötzmann im Ohr – müsste ich nochmal wieder einen Sun-Ra-Versuch starten.
Lanquidity ist eine vergleichsweise leicht zugängliche Sun Ra-Platte, mehr funky als free. Es ist aber auch ein populäres Vorurteil, dass Sun Ra immer abgedrehten Free Jazz gemacht hat. Den hat er auch gemacht, aber eigentlich kommt er ja vom Swing und insbesondere auf seine alten Tage ist er auch weder dahin zurückgekehrt.
Joy Division – Unknown Pleasures (1979)
So tiefschwarz und schön klingt die Depression einer Nordenglischen Industriestadt Ende der 70er.
Eine jener Platten, die ich mir mal wieder zulegen könnte. Jahrzehnte nicht gehört, irgendwann gehasst, dann vergessen, dann wohlwollend wieder aus dem Gedächtnis hervorgekramt.
Warum gehasst?
Brian Eno & David Byrne – My Life In The Bush Of Ghosts (1980)
Mein Leben im rhythmischen Busch der gesampleten Geister.
Wieder eine der Platten, die ich in den Top100 vergaß.
Wenn Du auf Dub stehst, kommst Du daran eigentlich nicht vorbei. Kennst Du My Head In A Hole In The Ground von African Head Charge?
The Fall – Slates (1980)
Das erste, was ich je von The Fall gehört habe. Mini-LP, gerade mal 20 Minuten. Ich habe nie was besseres gefunden.
Ich schon. :) Aber Slates ist auch toll.
Vielleicht habe ich nicht intensiv genug gesucht. Aber klasse ist Slates auf jeden Fall!
Talking Heads – Remain In Light (1980)
Die ersten Takte von Remain In Light trafen mich Anfang 1981 wie ein Schlag. Danach sah die Welt anders aus. Nie zuvor so elektrisierende und dichte Musik gehört.
Eine jener Platten, die immer die anderen hatten, da musste man sich gar keine Sorgen machen und konnte das eigene Geld für Platten ausgeben, die dann die anderen wiederum nicht hatten. Es gab nämlich mal eine Zeit, da kaufte man sich im Freundeskreis keine Platten mehrmals, sondern musste aus finanziellen Gründen viel ökonomischer kaufen. (…)
Remain in Light war lange auch meine einzige TH-LP. Die anderen LPs habe ich mir von Freunden auf Cassette überspielt. Ich habe noch eine schöne Tagline für Remain In Light: Britischer Ex-Kunststudent verführt neurotischen East Coast Intellektuellen und dessen Band zu Afro Beat. Übrigens sind die ersten 5 TH-Alben + die beiden Live-Albern alle gut. Sicher war RIL damals auch so faszinierend, weil man Fela Kuti nicht kannte.
Young Marble Giants – Colossal Youth (1980)
Der ikonoklastische Krach von Punk machte diese eigenwillige, introvertierte und minimalistische Musik wohl erst möglich. Gleichzeitig typisch und untypisch für ihre Zeit und auch Jahrzehnte später noch einzigartig.
Sehr schön beschrieben. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Eigentlich braucht es auch hier noch eine Tagline. Wie wäre es hiermit: Understatetes New Wave Singer/Songwriter Trio mit Mädchenstimme, Gitarre, Bass + Rhythm Box
Deutsch Amerikanische Freundschaft – Alles Ist Gut (1981)
Stieß damals allen vor den Kopf und traf damit mitten ins Schwarze.
DAF waren toll und Robert Görl einer der besten Drummer. Muskulös, aufs Nötigste reduziert und total physisch. Wie Ringo, nur eben zu anderer Zeit und anderen Bedingungen.
Ja, sehr mit Körper, sehr mit Synthesizer und sehr mit Drums! So waren auch die Auftritte von DAF: Gabi Delgado turnte wie ein Irrer auf der Bühne rum, Robert Görl hämmerte auf sein Schlagzeug ein und am Rande der Bühne wechselte eine hübsche Assistentin die Cassetten mit den Synthie Loops. Der Räuber und der Prinz waren wohl zwei komplementäre Charaktere: Der eine ein musikalischer Dilettant mit schwierigem Migrationshintergrund, der andere ein Waisenkind mit Konservatoriumsausbildung. Irgendwie entwurzelt waren sie beide, aber fanden sich bei DAF zusammen, drängten alle anderen Bandmitglieder raus und wurden mega-erfolgeich. Wenig später waren sie aber auch schon ausgebrannt und dann kam der Kater.
Roxy Music – Avalon (1982)
Perfection and Grace and Ennui.
Und Luxus. Totaler, schmieriger Luxus. Steht an manchen Tagen auch bei mir in den Top100.
Ja, Luxus! Eigentlich waren Roxy Music immer Luxus. Dekadenter Luxus!
Hüsker Dü – Warehouse: Songs And Stories (1987)
Zum Schluss wird noch mal alles gegeben. Eigenartig höhenlastiger metallischer Sound. Süßer Schmerz.
Lustigerweise war die letzte Hüsker meine erste.
Meine zweite. Warehouse ist ein ganz schöner Brocken und in einem Stück schwer zu schlucken.
Naked City – Radio (1993)
Charles Mingus, Ennio Morricone, Morton Feldman, Napalm Death, Booker T., Carole King und -zig andere machen zusammen Musik.
Mein Sun-Ra-Freund ist auch John-Zorn-Hörer. Ich muss da glaub ich nochmal ran.
Wobei zwischen Sun Ra und John Zorn an sich kein Zusammenhang besteht.
Stereolab – Dots And Loops (1997)
Retrofuturismus mit Blick auf die Copacabana.
Ist in den letzten Jahren etwas aus meinem Hörfeld geraten, aber Top100 würdig.
War bei mir ein knappes Rennen zwischen Emperor Tomato Ketchup, D&L und der von mir auch sehr geliebtem Sound Dust. Sound Dust ist eine tolle Platte. Ach, hätte ich doch die genommen …
Tortoise – TNT (1998)
So etwas wie Alternative Prog oder New Wave Kraut.
Live fand ich sie super. Auf Platte immer superlangweilig.
Find sie live super und auf Platte auch.
Bill Frisell – Ghost Town (2000)
Selbstportrait des Gitarristen zur Geisterstunde.
Hört sich interessant an. Ich kenne Frisell von einigen Kooperationen und von „Speechless“, einer Solo-Platte auf Ralph Records. Sein Markenzeichen scheint (für mich) zu sein, dass er absolut nie einen wiedererkennbaren Sound zu haben scheint. Ich könnte ihn nie aus einer Platte heraushören. Spricht für seine Experimentierlust. Faszienierend irgendwie (und keine Kritik).
Auf Aufnahmen unter eigenem Namen hat BF einen immer und sofort wiedererkennbaren eigenen one-in-a-million-sound! Aber wie! Er spielt aber auch sehr viel mit anderen Musikern zusammen. Da nimmt er ganz verschiedene Rollen ein und ist mal mehr, mal weniger als Bill Frisell zu erkennen. Er war ja Gitarrist von Naked City, hat aber auch mit so verschiedenen Leuten wie Paul Motian und Elvis Costello gearbeitet. Bei letzteren Kollaborationen ist er ganz klar Bill Frisell, bei Naked City aber nicht. Aber das sollte nicht überraschen, denn auch Naked City klingen ja niemals wie sie selber.
Bibio – Mind Bokeh (2012)
Simon & Garfunkel meet J Dilla. Folktronica.
Absolut nachvollziehbar, Bibio hier zu nennen. Begnadeter Fummler. Mein Favorit ist die „Ambivalence Avenue“.
Macht keinen großen Unterschied, finde ich. Ich kenne seine letzten drei Alben und finde alle gut. Mind Bokeh war meine erste.
Camera – Radiate! (2012)
Neo-Kraut von Berlins Straße.
Kenne ich nicht. Klingt aber interessant.
Camera sind ein Trio, das jahrelang irgendwo in Berlin, in U-Bahn Stationen, unter Brücken, an der Straßenecke, Gitarre, Keyboards und Drums ausgepackt und einfach drauflos gespielt hat, bis der Wachschutz es vertrieb. Vor ein paar Jahren haben sie dann doch mal ein Album aufgenommen und spielen seitdem anständige Konzerte. Ein neues Album ist im September erschienen. Kenne ich aber noch nicht.
Als ich Radiate! vor ein paar Tagen Forianer vorgarten vorspielte, zeigte dieser sich gelangweilt und behauptete der Gitarrist klinge wie aus der Gitarrenschule. Na ja … Ich höre die Platte sehr gerne.
Nochmals großes Lob für deine Kommentare. Habe ich sehr gerne gelesen. Und sie haben Humor. Das finde ich immer gut.
Vielen Dank! Wie gesagt: Geklaute Ideen sind immer die besten.
Zu Deiner etwas komplizierten Annäherung an Bob Dylan schreibe ich später noch was.
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“There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.” (From the movie Sinners by Ryan Coogler)