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redbeansandrice
also… dass das alles in allem ein valider Punkt ist, will ich nicht abstreiten, aber in diesem speziellen Fall greifst du die falschen an… die Enttäuschung von Jarman und Mitchell aus der oben beschriebenen Anekdote war ja direkt nach dem erscheinen von Right Now, also in der Mitte der sechziger Jahre; wenn irgendwelche Künstler mit ihrem Werk dafür stehen, dass fröhliches Durecheinandertröten keine langfristige Lösung ist, dass es gelingen muss die Erkenntnisse des Free Jazz in weniger hitzigem Umfeld weiterzuverbraten – ohne dabei jedoch in Hard-Bop-Seligkeit zurückzufallen – dann sind das die Chicagoer, Mitchell und das AEC, Threadgill, Braxton… und man kann sich das doch ganz gut vorstellen, sie saßen in Chicago, waren Anfang 20, grübelten über das was irgendwann das Art Ensemble of Chicago werden sollte (siehe das was gtw unter „eingereiht“ verlinkt hat)… denen war sehrwohl bewusst, dass Ayler nicht das Ende der Geschichte ist… und es macht auch absolut Sinn, dass sie für diese Unternehmungen auf den progressiveren McLean Alben wichtige Inspirationen fanden… und auf den weniger progressiven – schöne Musik hin oder her – nun mal nicht… das halt ich erstmal für vollkommen legitim…
Die Diskussion ist inzwischen ganz woanders angekommen, aber dennoch hierzu noch schnell: Ich wollte eigentlich nicht die Musiker kritisieren, die damals nach einem neuen Weg suchten, sondern diejenigen, die heute immer noch alles unter dem Blickwinkel der 60er und eines idealisierten Begriffs der Innovation begreifen. Aber auch den Free Jazzern der 1970er kann man vorwerfen, dass sie in einem Diskurs der Innovation gefangen waren, der selbst den Afro-Amerikanern, ihrem eigentlichen Publikum, egal war, so dass der Jazz schließlich immer mehr und mehr Publikum verlor bis zur heutigen weitgehenden Bedeutungslosigkeit unter Afro-Amerikanern.
Man kann sich ja mal fragen, wie es dazu kommen konnte, dass die große afro-amerikanische Musik zur Musik weißer Intellektueller werden konnte. Letztlich sind letztere die einzigen, die die Geduld und den Willen aufbrachten, sich dieser komplexen, sperrigen und fordernden Musik zu nähern. Während Jarman und andere sich fragten, warum Hutcherson jetzt nicht den nächsten Schritt ging, verließ das (afro-)amerikanische Publikum sie in Scharen. Dass das Art Ensemble letztlich wirkliche Bekanntheit durch die Aufnahmen für ECM erlangte, ist keine bittere Ironie (außer für Chuck Nessa), sondern Ausdruck der Verlagerung des Publikums. Das war inzwischen europäisch und weiß.
Die ursprüngliche Idee des Free Jazz war ja die individuelle spirituelle Befreiung (Coltrane), die natürlich im aufgeheizten Klima der 1960er schnell in die politische und gesellschaftliche Befreiung der Afro-Amerikaner münden musste. Das war der Anspruch! Kein Wunder, dass manche afro-amerikanischen Free-Jazzer, die von Weißen ja nur schlechtes erwarten, die Ursache für ihr Scheitern im FBI und diffusen Verschwörungstheorien erblicken. Jemand hatte offensichtlich das Ziel verfolgt, die Befreiung der Afro-Amerikaner zu verhindern. Stattdessen war ihnen einfach nur ihr Publikum davongelaufen. Das war natürlich eine bittere Erkenntnis und ich verstehe, dass manche das nie akzeptieren konnten.
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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.