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UDWDanke für Deine interessanten Ausführungen.
Stimmt, bei Dolphys Five Spot Aufnahmen und den Golden Circle LPs ist mir schon aufgefallen, dass Du Dich lässig für die Gesamtpakete entschieden hast. Hörst Du denn dort alle Alben auf dem gleichen Niveau? (Ich frage deshalb, weil ich z.B. die Five Spot Aufnahmen recht unterschiedlich gewichte; so absolut großartig wie Volume 1 empfinde ich die anderen beiden nicht.)
Noah Howard, Don Cherry, Archie Shepp oder Charles Gayle haben die Liste eher knapp verpasst, oder waren sie doch weit außen vor? Und Jazz der letzten 20 Jahre findet in Deinen Top 200 ja auch kaum statt; gab es da so wenig, was Dich begeistert hat? Matana?
Der Reihe nach:
Ich schätze Aufnahmen im Allgemeinen, aber solche wie die Golden Circle oder Five Spot Aufnahmen im Besonderen nicht nur, wenn sie in jeder Hinsicht perfekt sind, ich finde die rauheren Momente wie Ornettes Trompeten- und Violinenspiel etwa, aber auch schlicht ungeschliffene Momente – etwa die dreizehn Takte, die Percy Heath in seinem Solo auf der Prestige-Einspielung von Monk’s „Blue Monk“ aus Versehen spielt gerade so interessant. Einblick zu kriegen, Outtakes zu hören, Live-Aufnahmen, die Spontanität einfangen, aber auch den einen oder anderen Fehler, einen ruppigen Übergang zurück ins Thema, ein paar verhaute Noten eines Trompeters – das übt auf mich oft einen fast grösseren Reiz aus als das schlicht perfekte.
Die Nonchalance besteht eigentlich nur darin, dass ich „Vol. 1“ nicht hinzugeschrieben habe (aber ich hatte ja immerhin nicht die Frechheit, schlicht „The Amazing Bud Powell“ hinzuschreiben ;-), dann hätte allerdings „The Genius of Modern Music“ auf dem Fuss folgen müssen und die frühen Studio-Aufnahmen Stan Getz‘ für Roost und einige andere Dinge ebenso). Hätte ich es hinzugeschrieben, wäre ja dennoch jedem einigermassen denkensfähigen Leser klar gewesen, dass Vol. 2 (und im Falle Dolphys das „Memorial Album“ und die paar weiteren Takes ebenfalls) mitgedacht werden müssten.
Aber ja, bei Dolphy ist Vol. 1 gewiss deutlich das beste, das höre ich auch so. „Far Cry“ und Mal Waldrons „The Quest“ fielen da raus, bei Oliver Nelson mit Dolphy wäre das zweite der Prestige-Alben ein ebenso valabler Kandidat gewesen, allerdings ohne Freddie Hubbard (dessen Fehlen mich weniger schmerzt als das von Lee Morgan, aber auch da: reihenweise * * * *-Alben, aber am Ende doch keines, das mir wichtig genug ist für eine solche Liste) und Bill Evans.
Shepp ist ja da – ich hätte fast genausogut „Live in San Francisco“ listen können (aber nicht beide), aber „Mama Too Tight“ ist für mich das Album, das von Shepps besten am schönsten die ganze Breite seines Schaffens zwischen Tradition (Ellington!) und Avantgarde aufzeigt. In eine erweiterte Liste gehörte dann wenigstens auch das Konzert der Attica Blues Big Band, das Gérard Terronès veröffentlicht hat, vielleicht auch „The Long March“ mit Max Roach, dem Abzocker.
Gayle, hm … irgendwie war er mir nie wirklich wichtig, auch wenn ich „Touchin‘ on Trane“ ein tolles Album finde. Bei Howard war die Sache weniger eindeutig, aber am Ende ist mir z.B. das genannte Marion Brown Album sehr viel wichtiger, oder auch Arthur Jones‘ „Scorpio“, für das es ebenfalls nicht gereicht hatte. „The Black Arc“ ist ein tolles Album, aber am Ende ist mir wohl der lyrischere Free Jazz etwas lieber (da wäre dann auch noch das New York Art Quartet ein heisser Kandidat, allerdings eher die Cuneiform-CD oder die nicht zu findende „Mohawk“ als das ESP-Album) als der „harte“ eines Howard.
Zu Don Cherry habe ich mich ja gerade im entsprechenden Thread geäussert, viel mehr kann ich dazu nicht sagen. „Complete Communion“ wäre das Album in der Top 300 oder Top 500 (in letzterer vielleicht auch noch „Symphony for the Improvisers“ und gewiss weitere Sideman-Auftritte).
Was die letzten 20 Jahre betrifft, so wären in einer umfangreicheren Liste wohl manche Dinge zu finden: Colin Vallon, Elina Duni, Céu, mehr Threadgill auf jeden Fall, vielleicht auch Matana, die mich live ja bereits dreimal absolut begeistert hat (das vierte Mal war etwas weniger toll, aber hey!), aber von den zu wenigen Alben käme allenfalls Coin Coin 1 in Frage, das aber im Vergleich zu den Konzerten (v.a. Coin Coin 1 und Coin Coin 2) doch recht abfällt, also eigenltich eben auch ausscheiden muss … schwierig. Ich bin ja kein Verächter zeitgenössischer Musiker, liebe manche sehr, aber kenne von manchen (Malcolm Braff kommt mir da sofort in den Sinn, ein grossartiger Pianist!) eben keine Aufnahmen, die auch nur annähernd so beeindruckend sind, wie meine Live-Erlebnisse. Das wäre vielleicht bei Miles, Coltrane, Mingus ähnlich, aber die konnte ich ja leider alle nie live erleben (was wohl wiederum zum Interesse führt, das ich auch an einer Aufnahme von ihnen und vielen anderen an einem ihrer „schlechten Tage“ habe).
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