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Herr Rossi
Wichtig finde ich auch den Begriff des Pop-Appeal. Ich würde darunter ein über Genregrenzen hinausgreifendes Moment verstehen, dass ein Künstler bzw. seine Songs auch Hörer unmittelbar ansprechen, denen der Genre-Kontext fremd ist. Sowas wird ja oft negativ aufgefasst, dass ein Genre „ausverkauft“ wird und man sich dem „Massengeschmack“ andient. Aber eine Musik, die ihre Zeit reflektiert, wie etwa Motown in den 60ern, hat eben auch das Potential, dass sich viele Menschen darin wiederfinden.
Wenn wir das, was kramer sagt, akzeptieren, nämlich, dass die Musik von ihrem zeitgemäßen Kontext nicht zu trennen ist, dann gilt das für jede Form der Musik, ob Pop oder Jazz oder Klassik. Es ist schwer vorstellbar, dass Mozart das Nibelungen-Thema verarbeitet oder dass Duke Ellington 1930 eine Freedom Now-Suite komponiert hätte. Das kann man natürlich auch an formalen und technischen Kriterien festmachen. Jedenfalls reflektiert Musik (wie alle anderen Formen der Kunst auch) das Zeitalter, in dem sie entstanden ist.
Deshalb glaube ich, dass man weitergehen muss. Pop ist meiner Ansicht nach insofern demokratisch, als dass Pop, anders als Klassik keine Ausbildung voraussetzt und anders als Jazz keine virtuose Beherrschung des Instruments. Insofern hat Pop weniger Anspruch. Daraus folgt aber umgekehrt, dass Pop eine höhere gesellschaftliche Reichweite besitzt, weil er sich nicht an Eliten orientiert, sondern an „einfachen Menschen“. Das bedeutet nicht, dass Pop in politischer Hinsicht demokratisch ist, sondern in gesellschaftlicher, weil er sich über bestehende Grenzen einfach hinwegsetzt.
Es ist kein Zufall, dass Pop gerade nach dem 2. Weltkrieg mit Macht auftritt und zwar zunächst als Jugendphänomen. Das geht auch mit der Herausbildung einer Jugendkultur einher, die es vorher nur in Ansätzen gab und mit technischen Fortschritten (Vinyl, Radio, Fernsehen). Popmusik verkörpert also zunächst den Anspruch von Jugendlichen, an der Gesellschaft teilzuhaben und vermittelt dadurch diesen Jugendlichen eine kollektive Identität. Dadurch dass die Jugendlichen altern und neue Hörerschichten dazutreten, verändert sich der Charakter der Popmusik natürlich wiederum.
Meine Ideen zur Popmusik:
Popmusik benötigt gewisse technische Voraussetzungen, nämlich Massenmedien (in Bild und Ton)
Popmusik entsteht als Jugendphänomen und symbolisiert die Werte zumindest eines Teils dieser Jugendlichen.
Sie ist nicht an der Anerkennung im Wertekanon der bestehenden Hochkultur interessiert, teilweise steht sie sogar in direktem Gegensatz.
Popmusik lehnt als Musikform die Virtuosität (zumindest zunächst) ab. Da sie dadurch theoretisch jedem offensteht, ist sie auch demokratisch.
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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.