Re: Was ist Pop?

#2231061  | PERMALINK

bender-rodriguez

Registriert seit: 07.09.2005

Beiträge: 4,310

Herr RossiWo hab ich das denn jetzt wieder behauptet? Ich habe nie etwas vom „Punk-Anteil“ im Mainstream-Pop geschrieben. Nein: Punk hat Image, Stil, auf den Punkt kommende Songs, Eingängigkeit und das Singles-Format zurückgebracht. Durch diese offene Tür kamen dann die ganzen Postpunk-Bands, die auf stilistisch äußerst unterschiedliche Weise Pop als künstlerischen Ausdruck neu definierten. In dieser Postpunk-Bewegung wurzeln dann viele der kommerziell erfolgreichen Acts der 80er Jahre. Nicht wenigen dieser erfolgreichen Acts kann man künstlerische Bedeutung im Sinne der Postpunk-Pop-Bewegung zuerkennen, beispielsweise Madonna oder erst recht den Pet Shop Boys. Oder einfacher gesagt: Die machten großartige Popmusik und konnten damit sogar Hits landen.

Das hat mit heutigem Formatradio-Pop a la Reamonn, James Blunt oder Norah Jones herzlich wenig bis gar nichts zu tun, das ist halt die Fortsetzung dessen, was in den 80ern Phil Collins, Chris de Burgh etc. produzierten.

Hab ich es jetzt halbwegs verständlich gemacht? Madonna nix Punk! ;-)

Es ist eigentlich schon die ganze Zeit nicht misszuverstehen!

Jedoch scheint sich hier manches im Kreise zu drehen – und letztendlich wird immer noch krampfhaft nach einer messerscharfen Abgrenzung gefahndet…
Man hat sich mittlerweile mit „Pop“ angefreundet, versteht vielleicht (z.B.) die Pet Shop Boys jetzt etwas besser, aber unterzieht im Vergleich dazu „ernstzunehmende“ (eigentlich „gestandene“ „Rock“-)Künstler des Tests, ob sie denn tatsächlich auch…
Letztendlich bleibt offenbar das letzte Körnchen Misstrauen gegenüber dem Popmonster immer wieder zurück. Wird es mit aller Macht alles in seinen Bann schlagen? Alles und jeden assimilieren? Bleibt keine Spur von Individualismus zurück? Aber später mehr dazu.

Um primär auf eine der brennendsten Fragen dieser Diskussion einzugehen: Ja, ist es denn die Möglichkeit, daß Andy Warhols Velvet Underground „Pop“ sein können, gar dürfen? Im Grunde spricht nichts dagegen. Legendenbildung hin oder her, haben wir es im Prinzip auch mit einer Band zu tun, die zum richtigen Zeitpunkt einfach da war, um durch Style, einer gewissen Ästhetik und Haltung dem Phänomen „Pop“ und der Popkultur eine Facette hinzuzufügen, die nachhaltig auf stilübergreifende Weise die weitere Pop-Geschichte formte. Selbst manche der „unterkühlten“ und „künstlichen“ „Plastikpopper“ der 80er Jahre bezogen sich auf V.U. – und begriffen vielleicht mehr als mancher Authentizitäts-Purist den (sicherlich – bis zu einem gewissen Grade – subversiven) Popappeal der Band.

Die popmusikalische Geschichte zeigt immer wieder Paradebeispiele auf, die Verbindungen und Querverweise herstellt, die Brüche oder dogmatische Abgrenzungen als haltlos erscheinen lässt. So wird sicherlich jeder, der einmal die Musik der Industrial-„Erfinder“ und offensichtlich radikalen „authentisch“-antikommerziellen „Kulturterroristen“ („these people are the wreckers of civilization“) Throbbing Gristle gehört hat, diese keinesfalls als „Pop“ einordnen wollen. Jedoch bezog man den schieren Pop wie selbstverständlich in die gesellschaftskritische Konzeptkunst mit ein – als wesentlichen und selbstverständlichen Teil der zeitgenössischen Kultur. So nahm man z.B. eine vollkommen ironiefreie ABBA-Hommage namens „AB/7A“ auf. Die Einflüsse von T.G. spiegelten sich später mannigfaltig wieder – bis in hohe Chartpositionen (so waren O.M.D. absolute Bewunderer von T.G.).
Nur eines von sehr vielen Beispielen. Und genauso funktionierte es mit der signifikanten Geschichte des „Postpunk“ und seinen Ausläufern.

Aber die Essenz des Pop, bzw. das Herauskristallisieren von Popspurenelementen selbst bei „progressivsten“ Vertreter eines „authentischen“ Rock der Siebziger wurde immer wieder deutlich und offenbar.

Warum nun also dieser Authentizitätswahn und die dogmatisch zu bezeichnende Abgrenzung in den Siebzigern? Rock wurde erwachsen, bedeutungsschwer und erfuhr zunehmende künstlerische und kulturelle Akzeptanz – im breitesten Umfang. Rock-Suiten traten beinahe in Konkurrenz zu klassischer Musik – in aller Form der Ernsthaftigkeit (die aus heutigen Blickwinkeln heraus oftmals lächerlich wirkt). Eine zeitgeistige Modeerscheinung, wenn man so will. Dies traf auf eine vage politische und gesellschaftliche Strömung, die bei Jugendlichen damals populär war. Die Zeitzeugenberichte von z.B. Amadeus sind dazu sehr erhellend. Ein durchaus normales Abgrenzungsverhalten entstand, man begriff sich als Individuum, daß sich als soweit aufgeklärt verstand, nicht in die „kommerzielle“ Falle zu tappen. Und so identifizierte man sich mit der „ernsthaften“ Musik „ernstzunehmender“ Künstler. Man hatte endlich auch seinen Platz gefunden, machte es sich darin gemütlich, zusammen mit einer Schar von Geistesverwandten (man kann in diesem Verhalten durchaus Parallelen zum späteren Verhalten der „Indie-Gemeinde“ ziehen: wie es z.B. zum „Indie-Spiesser“ kam – ein gutes Beispiel!). Daß die Rock-Bands „Dinosaurier“ waren (oder wurden) – und kommerziell dem breiten Pop in nichts nachstanden, blendete man aus. Von daher stellt sich für mich die Frage: was denn nun wirklich authentischer war? Vielleicht sogar der schiere Pop in seiner gewollten „Künstlichkeit“, eben nichts anderes als Pop sein zu wollen?
Daß Pop die Macht hatte, gesellschaftlich und politisch Stellung zu beziehen, wissen wir nun spätestens seit den späten Siebzigern. Jedoch konnte Pop diesen Anspruch schon immer erfüllen, seit seines Bestehens.
Letztendlich, wenn Pop seine endgültige Akzeptanz gefunden hat, wird zwangsläufig jedoch die Frage aufkommen, wie unterscheidet man „guten“ von „schlechtem“ Pop…
Man sieht, den hundertprozentigen Popversteher wird es vielleicht nie geben – ein Idealbild, bzw. Status, von dem auch ich mich überfordert sehe…

--

I mean, being a robot's great - but we don't have emotions and sometimes that makes me very sad