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nail75@DanielB: Ich denke, der Begriff Counterculture umfasst all das (und möglichweise noch mehr), was ich oben beschrieben habe. Bleibt die Frage, warum sich die Gegenkultur der frühen 1970er (oder späten 1960er) es als notwendig ansah, sich auch musikalisch zu definieren und zwar, indem sie sie authentische von nicht-authentischer Musik abgrenzte. Das hat natürlich niemand beschlossen und selbstverständlich umfasste dieser Prozess auch andere Bereiche, wie Kleidung oder Aussehen, aber warum dieses als authentisch galt und jenes nicht, ist für mich im Augenblick noch etwas rätselhaft.
Warum gerade die Musik also das Medium der Wahl für Abgrenzung, verstehe ich die Frage so richtig?
Zunächst ist Musik grundsätzlich die weltweit direkteste kulturelle Kommunikationsmöglichkeit der Menschen. Regionale oder nationale Grenzen, die in der rein verbalen Sprache vorzufinden sind, werden prinzipiell von der Musik als universaler Sprache transzendiert. Auch relativ komplexe universale Botschaften können so leicht und direkt transportiert werden.
Dazu ermöglichten in den 60er Jahren die fortgeschrittenen Medien-Technologien wie vor allem Radio und Vervielfältigungsmöglichkeiten wie die Schallplatte (einschließlich der Empfangs- oder Abspielgeräte) die massenhafte Verbreitung von Botschaften. Die Medienzugänge wurden auch für der Macht fernere Schichten erreichbar (Piratenradios, Start-up Schallplatten-Verleger etc), die den gegen die etablierten Institutionen stehenden Kräften Plattformen boten. In diesem Sinne wäre die Gegenkultur die der Technologierevolution enstprechende kulturelle Modernisierung, die sich gegen beharrende Widerstände durchsetzt.
Unterstützt wurde das Ganze zusätzlich durch das ebenfalls massenhaft aufkommende Fernsehen, das eine bis dato ja völlig ungekannte Bilderflut auf die Menschen losließ, z.T. ja auch noch deutlich ungeregelt und „naiv“ (man denke bspw. an die Bilder aus dem Vietnamkrieg und ihre Wirkung). Allerdings war diese Technologie zumindest bis Mitte der 70er noch nicht derart weit verbreitet wie die Audio-Techniken. Das änderte sich übrigens mit den beginnenden 80er Jahren und bot den Stil/Mode- und damit Bild orientierten Pop-Künstlern die ihnen angemessene Medienform („Video killed the radio star“).
Insofern kann die Kulturgeschichte auch als maßgeblich durch die Technologienentwicklung mitgesteuert interpretiert werden. Zumindest gehen sie Hand in Hand, die technischen Möglichkeiten und ihre künstlerische Nutzung. Guter Pop könnte so gedeutet übrigens genau dies sein: Die zeitgemäße Nutzung der vorhandenen Technologien, weder zu avantgardistisch noch zu spät, als Bild der stehende Surfer auf dem Scheitelpunkt der Welle.
Zurück zu dem Gegensatz, um den es hier geht: Die Identifikation mit der durch neuere Technologien geprägten Kultur ist fast zwangsläufig nicht mehr möglich, weil sie der eigenen technologisch-kulturellen Prägung nicht mehr entspricht und damit nicht mehr vollständig nachvollzogen werden kann. Vielleicht vermittelt verstanden, aber ein Zuhause des Subjekts kann es nicht mehr sein, weil die Sinnlichkeit durch die veraltenden Technologien zu stark geprägt ist. So ist meines Wissens nachgewiesen, dass allein das Schauen in die Bildröhren der Fernseher das Verhalten der Alpha-Wellen im Gehirn der damit aufwachsenden Generation signifikant verändert hat.
Ich bin jetzt zu müde, um das noch weiter auszuführen, sorry, ich muss morgen früh raus. Viellicht denkt das mal ein anderer weiter oder korrigiert. Wäre schön.
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The only truth is music.