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Flint HollowayWar jetzt nicht direkt dabei und hab auch nicht soviel Hintergrundwissen dazu, aber das war doch mit Motown schon ähnlich oder?
Nein. Natürlich war Motown strikt kommerziell orientiert und wollte möglichst viele Singles in die Charts bringen, aber das galt Anfang bis Mitte der 60er bei Popfans auch nicht als ehrenrührig. Die „angesagten“ Künstler waren damals die, die Hits produzierten. Nicht jeder, es gab ja auch weiterhin Stars, die den Geschmack der Älteren bedienten, aber Motown war der „Sound Of Young America“ und die Motown-Acts waren allgemein akzeptiert. Das ist der Unterschied zwischen 1966 und 1979: Wer sich 1966 eine Single von den Supremes kaufte oder von den Temptations, musste das niemanden erklären. Wer sich 1979 eine Single von Chic oder Sister Sledge kaufte, der hatte sich nach herrschender Rockfan-Meinung für diese „kommerzielle Disco-Mucke“ gefälligst zu schämen. Die Rockhörer der 70er Jahre verstanden die aktuelle schwarze Musik jener Zeit nicht nur nicht, sie marginalisierten sie auch.
Blitzkrieg BettinaObwohl die Sichtweise „Punk=besondere Weiterentwicklung der Pop-Musik“ nicht unsympatisch ist, hab ich immer noch ein bisschen Probleme mit deiner Folgerung Punk > Madonna, Rossi.
Das ist ja nicht meine Folgerung allein, wie Bender schon anmerkte. Punk war ja nur ein Katalysator, wichtiger war die Post-Punk-Ära (oder „New Wave“) mit ihren unendlich vielen Varianten. Da geriet die Rock-Dogmatik der späten 60er und 70er endgültig ins Wanken. Pop wurde von neuen Bands und Künstlern neu und positiv definiert. In einem zweiten Schritt wurde dieser neue Pop dann auch Teil des Mainstreams. Musikalisch hatte Madonna mit Punk nie etwas zu tun, aber das Phänomen Madonna wäre 1975 noch nicht möglich gewesen, da musste sich einiges grundlegend ändern. Da spielt natürlich auch die „Gender“-Thematik (also weibliches Selbstverständnis) rein, die in der Post-Punk-Ära neu formuliert wurde durch Bands wie die Slits oder X-Ray Spex. Madonna als „role modell“ für weibliche Teenager, das war ja ein wesentlicher Faktor ihres Aufstiegs zumindest in den USA.
Blitzkrieg Bettina
Da kann ich mit Beach Boys > ABBA > Pet Shop Boys (was ja auch von dir ist) schon viel mehr anfangen.
schussrichtungIch würde sogar Beach Boys > ABBA > Sparks > Pet Shop Boys sagen.
Pop ist Ende der Siebziger nicht erst erfunden worden, das habe ich auch nicht gesagt, er wurde nur neu definiert. Man kann ABBA kaum mit den Bands der Post-Punk-Ära vergleichen, die hatten keinen theoretischen Überbau. Die waren alle in den 60ern bereits Stars in Schweden, der eine in einer Beatband, der andere in einer Skiffle-Group, die Frauen als Solistinnen. Die kamen Anfang der Siebziger zusammen, liebten alle den Pop der 60s – also Phil Spector, Girl Groups, Beach Boys, Motown usw. – und wollten diesen Sound für die 70er Jahre neu beleben und damit international groß rauskommen. ABBA repräsentieren im Grunde den „alten“ Pop: Mach eine tolle Single, lande einen Hit, mach noch eine Single, lande wieder einen Hit usw. Die Sparks waren dagegen wie Bowie und Roxy Music schon frühe Vertreter des neuen, artifiziellen Pop und hatten daher wie diese sehr großen Einfluss auf die Künstler, die ab 1977/78 Pop neu definierten.
Bei den Pet Shop Boys fließt dann alles zusammen, die sind sozusagen die idealtypische Verkörperung beider Seiten des Pop (so ähnlich hat es neulich auch die Spex geschrieben, ist nicht auf meinem Mist gewachsen ;-)).
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