Re: Was ist Pop?

#2230517  | PERMALINK

irrlicht
Nihil

Registriert seit: 08.07.2007

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Bender RodriguezIch bin Dir in der Tat ein paar Erklärungen schuldig – und hoffe, ich bin nicht zu arrogant rübergekommen… Ich empfinde Deine Begeisterung für Joy Division durchaus als eine positive und schöne Sache. Allerdings sehe ich bei Deiner Verklärung die Gefahr einer idealistisch schöngefärbten Überhöhung der Band. An dieser Stelle möchte ich Dich jedoch erst einmal beruhigen: Es gibt wohl in diesem Forum kaum einen grösseren Joy Division-Fan als mich (ausser vielleicht Dick Laurent?). Ich habe vielleicht schon mehrfach hier klar gemacht, daß ich „Love will tear us apart“ als meine Lieblingssingle ansehe.
Nur, ich habe in etwa Deinem Alter die Musik von Joy Division in der Tat mystisch verklärt, jeden Ton als überirdische Lichtgestaltenleistung angesehen und in jedes Wort mannigfache Bedeutung hinein interpretiert. Jedes Bandphoto schaute ich mir wie in Ehrfurcht erstarrt an.
So ging es nicht nur mir, sondern etlichen „frühen“ Joy Division-Fans. Lag natürlich auch an der gesteuerten Legendenbildung durch Factory-Records und sonstigen Leichenfledderen und Legendenbildern in den frühen Achtzigern.
Mit der Zeit kam natürlich eine Ernüchterung und eine etwas realistischere Perspektive auf das Schaffen dieser (da bleibe ich Fan und Bewunderer) grandiosen Band.
Aber gerade erst durch diese neu gewonnene Distanz lernte ich Joy Division erst wirklich richtig kennen. Ich verglich die Songs mit anderen Songs anderer Bands, stellte sie in einen gewissen Kontext, und begriff Joy Division als „normale“ Band unter anderen. Keine Superlativen mehr, keine Verklärung und plötzlich entdeckte ich die wahre Genialität Joy Divisions. Als Popband. Ich kenne einige Leute, die immer noch in Ehrfurcht erstarrt sind. Diese Fans bleiben Fanatiker, die sich scheuen „Control“ anzusehen, aus lauter Angst, einen Mythos zu verlieren. Armselig.
Ich hoffe Du verstehst, was ich meine: nichts schadet der Musik so sehr, wie der Umstand, wenn Fans zu Fanatikern werden.

Und lege meine sechs genannten Songs nicht auf die alles wertende Goldwaage – die Songs waren lediglich Beispiele, die ich schnell bei der Hand hatte. Nichtsdestotrotz machen Sie im Kontext mit dieser Diskussion wie sie sich entwickelte, Sinn. Vielleicht machst Du Dir die Mühe – und Du kommst von selbst drauf…

Freut mich sehr, dass Du Dir soviel Zeit für eine Antwort nimmst und nicht viele lapidare Aussagen fallen läßt ;-) Sehr positiv wie ich finde !

Nun ist es so, dass ich JD bei weitem nicht als nonplusultra sehe, sie allerdings sehr schätze. Ich kann mich noch gut erinnern als Zuhaus immer „New dawn fades“ lief, Mensch, das war schon was anderes. Hatte ein ganz anderen Charakter als das was man so aus Radio und Fernsehen mitbekam. Mystisch, düster, aber nie klischeehaft und kitschig klang es, leider wie so vieles was heute unter dem Genre Gothic(Rock/Metal) in die Läden kommt. Bezeichnet man wohl als Zeitgeist, oder ? Ich für meinen Teil finde heute keine Gothic-Kapellen die mir die Intensität, Ernsthaftigkeit und Atmosphäre von den Koryphäen wie Siouxsie, Bauhaus, Cure oder JD wieder bringen. Das sehe ich dann bei weitem nicht als „Fanblendung“, Kritik ist nämlich sicherlich auch bei ihnen mehr als vorhanden. Etwas Besonderes bleiben sie für mich allerdings trotzdem, sind ja sozusagen die Würzeln der Düster-Bands die ich heute höre. Als wirklich reine Pop Band verstehe ich JD irgendwie aber trotzdem nicht, wobei Pop nun ja angeblich kein wirklicher eigener Musikstil ist. Wird ja allerdings mehr als propagiert. Schau doch nur mal in die großen Verkaufsketten. Da tummelt sich im Fach Pop (!) PF neben Ryan Adams, Beatles neben Bon Jovi usw. Vielleicht verstehst Du was ich damit ausdrücken will…m.E. geht da etwas die Differenzierung abhanden. Das JD natürlich Element aus dem Pop übernommen haben will ich nicht abstreiten, allerdings würde ich sie nicht mit dem Siegel Pop versehen. Dafür ist ihr Stil größtenteils viel zu weit vom Pop entfernt. Vielleicht spielen mit meine Ohren da aber auch einen Streich, gut möglich. Vielleicht sollte ich Pop als eine Art Gewürz sehen mit dem man jede Stilrichtung versehen kann. Bei zu starker Benutzung kommt dann gelegentlich das heraus, was bei mir unter Kitsch läuft (…eben u.a. „Just like heaven“). Ich frage mich immer noch wie Robert so in seichte Gefilde abdriften konnte. Nach „Pornography“ :liebe_2: ist „Kiss me…“ und auch schon „JW“ für mich schon ein…äh, heftiger Brocken. ;-) Vielleicht versteht man einander jetzt ja ein wenig besser…
Ich bastle mir jedenfalls mittlerweile keine Götzenbilder mehr. Auch für meine heißgeliebten Musiker nicht. Im Fan-Sein verstehe ich mich hingegen allerdings ganz gut…;-)

LG
Irrlicht

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Hold on Magnolia to that great highway moon