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So, Otis, bin nun endlich dazugekommen, mir diesen Thread zu Gemüte zu führen. Was soll ich sagen? Der übliche communication breakdown am ominösen Punkt X. Das ist hier immer jener Punkt, an dem sich die Spreu vom Weizen trennt, will sagen: der Freizeithörer vom Forscher. Diesen Unterschied gibt es überall, auf allen Gebieten des Lebens. Selbst auf so ultraprofaner Ebene wie dem Trinken von vergorenem Traubensaft. Du hast das ja gerade erwähnt. Das Problem ist nicht die Frage der Wertigkeit, sondern die der Intensität und Extensität einer Beschäftigung mit (hier:) Musik, die je nach Grad des Interesses eine adäquate Ebene für den Umgang mit dem Objekt der Begierde sucht. The search for refinement. Wobei sich ein (wie immer definierter) Wert erst einstellt.
Exkurs. Vor drei Jahren trug sich folgendes auf der Buchmesse in Frankfurt zu: die Podiumsdiskussion nach einem Symposium über Crime-Fiction-Erstausgaben der 50er und 60er Jahre (zugegen waren ca. 120 Experten, Sammler, Literaturliebhaber, Autoren und ähnlich bibliophiles Volk) wurde von einem 25jährigen Typen aus Bochum gestört, der sinngemäß ins Mikro geiferte, diese Versammlung „elitärer Kulturverwalter“ öde ihn an. Man müsse doch nicht tausende von Dollar für ein altes Buch ausgeben, um den Inhalt zu verstehen. Und die „arrogante Art“, mit der in diesem Kreis über Billig-Prints und Taschenbuchausgaben geredet werde, sei doch beleidigend für Leute wie ihn, die sich aufwendigere Ausgaben nicht leisten könnten bzw. nicht wollten. Er selbst, so fuhr er agitiert fort, kaufe und lese überhaupt keine Bücher mehr, das sei doch ohnehin überholt. Nein, er hole sich Literatur auf CD und höre sie im Auto. Und das sei nicht weniger und nicht schlechter als sie in der „fetischisierten Form“ alter, bibliophil aufgemachter „Schinken“ zu konsumieren. Man nannte diesen selbsternannten „Demokratisierer der Literatur“ einen schrecklichen Banausen, Kunstfeind, Ahnungslosen, Dummbeutel und schlimmeres. Und das hatte er sich redlich verdient.
Denn: niemand wird gezwungen, am search for refinement teilzunehmen. Grundsätzlich aber denen, die die es gerne genauer haben und dafür Zeit, Mühe und dergleichen investieren, vorzuwerfen, sie seien elitär, anachronistisch, abgehoben, spinnert o.ä., zeugt von Ignoranz, in besonders schweren Fällen von Idiotie.
Am Ende ist es wohl ein psychologisches Problem. Man hat es gern bequem und funktionabel, möchte aber dennoch ernstgenommen werden. Man ist Agent der Entwertung (billig will ich), fühlt sich aber als solcher falsch verstanden. Ich denke, niemandem hier zu nahe zu treten, wenn ich behaupte, daß für die weitaus meisten hier der Umgang mit Musik ein mehr oder weniger akribisch gepflegtes Hobby ist. Soll ja auch so sein. Unbenommen. Nur: es kann auch so viel mehr sein. Und erst jenseits dieser Demarkationslinie fängt die Diskussion über „Wert oder Unwert“ richtig an. Alles davor ist Defensive wg. gekränkter Eitelkeit oder Angst, nicht für voll genommen zu werden. Jeder Diskurs um das flüchtige Phänomen „elitism“ scheitert zwangsläufig am allzu Menschlichen: Hey, ich bin auch wer.
Wie gesagt, unbenommen.
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