Re: Jazzbücher

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friedrich

Registriert seit: 28.06.2008

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vorgartennaja, vielleicht mag man ihr hier wenigstens zugestehen, dass sie wusste, was sie tat.

Ich sage nicht, dass sie es nicht wusste. Ich sage aber auch nicht, dass sie es wusste. Ich stelle die Frage, ob sie selber darüber Auskunft hätte geben können. Auch diese Frage kann ich nicht beantworten. Und mal ehrlich: Wissen wir selbst denn immer genau was wir warum tun? Ich nicht!

ich finde es, ohne wahrheitsgehalt oder plausibilität als kriterien ins spiel bringen zu wollen, einfach sehr bezeichnend, dass sich zu lebzeiten wohl niemand wirklich für pannonica oder nellie so sehr interessiert hat, dass man heute, in zeiten größeren interesses für interessante weibliche biografien (so verstehe ich auch hannahs fragen), ein schärferes bild zeichnen könnte. chance vertan. ich lese allerdings nur geringschätziges über pannonica aus der perspektive von presse und familie, nicht aus jener der musiker. und das finde ich nicht komisch, sondern bezeichnend. (wenn man unterstellt, dass sich jemand unentbehrlich gemacht hat, macht man ja auch diejenigen klein, die entbehren – und das mag ich in fällen wie mingus, rollins und baraka nicht so recht übernehmen.)

Zu Lebzeiten stand Monk im Rampenlicht und Nellie in seinem Schatten. Die damalige Presse hat sich den Mund (kann man das so sagen?) über Nica zerrissen. Sie war in ihrer Position ein gefundenes Fressen für die Boulevard Presse. Und für ihre Familie war sie ein schwarzes Schaf. Heute sieht man das ja durchaus anders. Sicher ist es auch sehr schwer, bei dieser Aktenlage ein realistisches Bild von Pannonica zu zeichnen. Hannah Rothschild versucht es immerhin. Wie gesagt: Sie schreibt ja selbst, dass sie auf der Suche nach Nica ist. Ein abschließendes, eindeutiges Bild erwarte ich da nicht. Damals – zu Lebzeiten von Nica und Nellie – galten weibliche Biografien als nicht interessant. Frauen waren Beiwerk. Ein stückweit hat Nica dem mit ihrer Eigenermächtigung was entgegengesetzt.

Die Musiker zeichnen tatsächlich durchgängig ein anerkennendes Bild von Nica. Da ist auch nichts von Hohn oder Spott über ihre Herkunft zu lesen, kein Neid, kein Misstrauen. Sie ist ja auch ganz offen mit ihrer Herkunft und ihrem Geld umgegangen, hat mit dem Bentley und im Pelzmantel in Harlem (oder so) geparkt, ohne jedoch damit zu protzen oder mit Geld um sich zu werfen. Sie hat es offenbar auch genossen, reich zu sein. Warum auch nicht? Wenn Not am Mann war, hat sie halt den Menschen, die ihr etwas bedeuteten, gerne geholfen. Sie ist offenbar in der black community voll akzeptiert worden. Für mich wirkt ihr Verhalten authentisch, und das hat man damals wohl auch unter den Musikern so wahrgenommen.

gypsy schrieb doch davon, wie sich das Bild von Monk in der Literatur über die Jahre gewandelt hat. Monk ist immer der gleiche gewesen, aber seine Darstellung hat sich durch wechselnde Perspektiven immer wieder verändert und durch die verschiedensten Interpretationen ergibt sich ein immer komplexeres Bild, das der Wahrheit vielleicht auch immer näher kommt ohne sie jemals ganz zu erfassen.

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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)