Re: Jazzbücher

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gypsy-tail-wind
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ClauIch habe gerade die Miles Davis Autobiographie gelesen. Mitreißend. Ein paar Fragen wirft das Buch auf:

Miles schreibt, Herbie Hancock würde in der Band durch sein Spiel „Raum schaffen“. Was meint er damit? Etwa, dass Herbie Figuren und Muster spielt, die theoretisch ein Solo begleiten können ohne zu wissen, ob ein solches tatsächlich gespielt wird?

Denke, das bezieht sich auf die Art Hancocks, zu begleiten – er spielte vergleichsweise sparsam. Die Metapher mit dem „Raum öffnen“ bezieht sich wohl zumeist (d.h. wenn sie richtig/sinnvoll eingesetzt wird) darauf, dass er Pianist – der ja dadurch, dass er im Normalfall das Akkordgerüst des Stückes durchspielt, die Struktur gibt und damit Räume nimmt, verschliesst, indem eben dieses Akkordgerüst Möglichkeiten verhindert, die in freieren Spielarten, gegeben sein können … Hancock begleitete jedoch auf eine Art, dass der Solist eben nicht auf einen Akkord, eine Tonleiter pro zwei oder vier Schläge begrenzt war (natürlich ist das so eindeutig selten der Fall, es gibt „Regeln“, welche „Übertretungen“ erlaubt sind, chromatische Läufe, sowas wie Coltrane mit seinen sheets of sound ca. 1957 anstellt – das ist alles regelkonform … auch falsche Töne oder Tonfolgen sind erlaubt, wenn sie denn gut klingen bzw. auf eine schlaue Art wieder aufgelöst werden (wobei einer mit stiff upper lip dann sein Näschen rümpfen mag). Rollins oder Roach schafften das Klavier aus diesen Gründen in ihren Bands ab – um Raum zu gewinnen. Nicht viele Pianisten beherrschten die Kunst, zu begleiten und dennoch Räume zu öffnen, und Hancock war von ihnen wohl der herausragendste, behaupte ich jetzt mal … das Räume öffnen kann ja auch darüber hinaus gehen und mehr bieten als das Weglassen des Pianos, es kann den Solisten anregen, in eine Richtung zu gehen, die er ohne diese Anregung vielleicht nicht für denkbar gehalten hätte …

ClauSind jemals Aufnahmen mit Miles und Prince entstanden?

Es gibt ein kurzes Miles-Solo auf einem Prince-Bootleg – nicht sehr ergiebig. Leider.

ClauGibt es irgendwelche Aussagen darüber, was Miles vom deutschen Publikum hielt? Er äußert sich ja unter anderem sehr positiv über das Publikum in Japan, Paris, Oslo und Polen, über das deutsche Publikum schreibt er nichts, aber es ist ja in den Sechzigern immerhin das Live Album „Miles In Berlin“ erschienen.

Weiß da jemand mehr?

Miles spielte auch in Weltstädten wie Sindelfingen … keine Ahnung, ob er sich jemals darüber geäussert hat. Dass Japan und Paris besonderes Orte waren für Jazzmusiker ist klar, Berlin … war ja für viele – wenigstens wenn’s um die Jazztage ging – eher ein Angstpublikum (Miles, die coole Sau, war aber stets auf der Höhe, hätten die Berliner ihn ausgepfiffen, hätten sie bloss sich selbst desavouiert ;-)) … Polen, klar, kann man sich vorstellen, wie das Publikum da – wo es ja seit den Fünfzigern eine lebendige aber ziemlich insulare Jazzszene gab – nach amerikanischen Musikern dürstete … am Jazz Jamboree in Warschau trat ja so ziemlich alles, was Rang und Namen hatte, einmal auf. Ich vermute also einfach, dass Miles sich zu dem Publikum äussert, das in irgendeiner Hinsicht speziell war.

ClauWas muss ich noch über Miles lesen?

Da kann ich nicht weiterhelfen … Tingen (oder so ähnlich) fand ich für die elektrischen Jahre nicht übel (aber auch nicht herausragend), an Gesamtdarstellungen kenne ich wenig, die Texte von Bob Belden und anderen in der „Werkausgabe“ (Mosaic/Sony) fand ich jedoch stets sehr erhellend (Ausnahme „On the Corner“, da haben sie beim Textanteil etwas gespaart, dafür ist das Design der CD-Box noch geiler als sonst). Vielleicht lohnt ein Blick in Ian Carrs Buch?

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