Re: Jazzbücher

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redbeansandrice

Registriert seit: 14.08.2009

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nail75Was sind denn Deine übrigen liebsten Jazzbücher?

nach reiflicher Überlegung einen geteilten ersten und einen geteilten zweiten:

Platz 1 an
Amiri Baraka – Black Music
Ted Gioia – West Coast Jazz

zu Black Music hab ich ja grad schon was gesagt – dadurch, dass Baraka genauso Journalist ist wie vielleicht der wichtigste Dichter jener Szene, ist das wohl das ein enorm lebendiges Portrait der ersten Jahre des Free Jazz. Zu West Coast Jazz hatte ich ja auch kürzlich was gesagt, ein sehr ganzheitliches Bild des Jazz an der Westküste ca 1945-1960, nicht nur das was üblicherweise „West Coast Jazz“ heißt; überwiegend als eine Serie von kurzen Künstlerportraits (ca 20 Seiten) aufgebaut, bekannte (aber wie die ganze Szene trotzdem im Vergleich zu ihrem damaligen Ruhm vergessene) West Coast Jazzer wie Shorty Rogers, Dave Brubeck, Baker/Mulligan; obskurere West Coast Jazzer wie Bob Graettinger… und dann auch die Musiker, die man oft unter „Black California“ subsummiert, Teddy Edwards, Harold Land, Dupree Bolton, die frühen Jahre von Mingus und Ornette…einfach ein sehr gut recherchiertes Buch, das klasse geschrieben ist, und die vielen ostküstenzentrierten Bücher ergänzt… das andere Buch zum Thema (Robert Gordon) hab ich allerdings nicht gelesen… wie gesagt, als Teaser ist der Dupree Bolton Artikel auf Gioia’s lohnender Website www.jazz.com geeignet…

Platz 2 an

A. J. Albany – Lowdown: Junk, Jazz and Other Fairytales from Childhood
Jeroen de Valk – Chet Baker. His Life and Music

Albany ist die Tochter des Pianisten Joe Albany. Lowdown ist eine Autobiografie ihrer ersten 15 Jahre… ziemlich komplementär zu Art Peppers Straight Life – in Straight Life kann man sich eine der Geschichten, wie Männer sie gelegentlich erzählen, „ich war mehrere Wochen von meiner Frau getrennt, bin damit so schlecht zurechtgekommen, dass ich fremd gehen musste, das hat mich so wahnsinnig belastet, dass ich an Heroin einfach nicht vorbeikam“ auf ein paar hundert Seiten ausgewalzt durchlesen… man mag das Ehrlichkeit nennen, ich find Narzissmus greift auch ganz gut… Albany wuchs in einem solchen Haushalt auf… es ist so ein Buch, dass mir wahrscheinlich zu deprimierend gewesen wäre, wenn ich nicht gewusst hätte, die Autorin lebt noch und kann die Dinge so humor- und liebevoll sehen, wie sie sie offenbar sieht… Zahnpasta zum Abendbrot, pädophile Clowns als Babysitter, die Geschichte windet sich von einer Katastrophe zu nächsten… Albany ist offensichtlich einer sehr sehr begabte Schriftstellerin, alles sehr plastisch, man schmeißt sich immer wieder weg vor lachen; das Buch ist nur halb so lang wie Straight Life… und ich find die Perspektive des Kindes um ein vielfaches sympathischer als die des Künstlers selber… Musik kommt naturgemäß ein bißchen kurz – das ist bei Straight Life nicht viel anders – aber man kriegt ein ziemlich gutes Bild davon, was für Menschen die Musiker des Bebop waren… auch hier gilt, dass ich zwei hochgelobte Bücher aus dem Umkreis noch nicht gelesen hab: Hampton Hawes
Autobiografie und „Death of a Bebop Wife“ von Grange Rutan, Al Haigs dritte Frau spekuliert über den Tod von Al Haigs vierter Frau…

zu de Valk hatt ich mich ja auch schon geäußert, toller Rundumschlag, der gleichermaßen Gewicht auf Biografie/Musik legt, und – bei Baker beides wichtig und nicht leicht – aus meiner Sicht die Verklärung/Sensationalismus Balance und die frühe Karriere/späte Karriere Balance ganz hervorragend trifft, mit vielen Interviews wird Baker in einem Maße plastisch, dass ich nicht für möglich gehalten hätte…

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bisher leider nur in Ausschnitten gelesen und bestimmt super:
Val Willmer – As Serious as your Life
George Lewis – A Power Stronger Than Itself

mit Behrendts Jazz-Buch bin ich irgendwie durch, kann es wohl nicht mehr ganz fair sehen, war sehr sehr wichtig für mich als Jugendlicher, mittlerweile seh ich manches anders als er, viele Passagen kann ich aber immer noch auswendig… was ganz faszinierend ist an dem Buch (wenigstens an der Ausgabe von 1989) ist, dass hier nicht (wie fast schon üblich) so getan wird, als sei der Jazz irgendwann (zB) 1972 im wesentlichen stehengeblieben und alles danach minderwertig [seh ich ja selbst ein bißchen so], stattdessen wird die ganze Geschichte durch die 70er und 80er detaillierter und positiver als üblich in solchen Büchern miterzählt, quasi als wärs „per aspera ad astra“…

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