Re: Horace Silver

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Mit „Finger Poppin'“ hatte Silver die Band zusammen, die – abgesehen vom Drummer Louis Hayes, der nach zwei weiteren Alben zu Cannonball Adderley wechselte und von Roy Brooks ersetzt wurde – für fast fünf Jahre bestand hatte. Die Frontline bestand aus Blue Mitchell und Junior Cook, die einen guten Kontrast ergeben – die lyrische Trompete mit dem schönen Sound und das harte Tenorsax mit dem muskulösen Ton und der trockenen „delivery“.
Im Januar 1959 nahm diese Gruppe das erste Album auf, eine Tour de Force für Silver und die Band, acht Originals, die wieder alles umfassen, hartem Swing zu funky und souligen Stücken, Latin Rhythmen, die üblichen vertrackten Intros, Interludes, Rhythmuswechsel, Shout Chorusse… alles da. Ein brillantes Album – der einzige Wehmutstropfen bleibt, dass es vielleicht mit etwas spannenderen Solisten (eben z.B. Farmer/Jordan) vielleicht noch ein Spur toller geworden wäre… aber wenn man von Silvers Vorgeschichte absieht, dann sind wohl dieses und das folgende Album seine allerbesten!

„Blowin‘ the Blues Away“ war das erste Silver-Album, das ich besass und besser kannte, und ich halte es nach wie vor für eins der drei, vier allerbesten. Es ist das letzte Album mit Louis Hayes und er ist wieder zentral für die erfolgreiche Präsentation von Silvers tollen Stücken. Die grossen Klassiker sind „Sister Sadie“ sowie zwei Balladen, „Peace“ und „Melancholy Mood“ (das schon auf „Further Explorations“ zu hören war).
Das Album enstand im Gegensatz zu fast allen Silver-Alben nicht sorgfältig geplant in einem Tag sondern an drei Sessions im August und September 1959, wobei auch noch ein Outtake liegenblieb, Don Neweys „How Did It Happen“ (Newey steuerte fürs nächste Album „Horace-Scope“ dann wieder ein Stück bei). Die Band ist aber mittlerweile schon so gut eingespielt, dass man dem Album keineswegs anhört, dass es nicht geplant und aus einem Guss entstanden ist! Mit „The St. Vitus Dance“ findet sich überdies auch mal ein Trio-Stück, das nicht balladesk ist, es erinnert an die frühen Blue Note Trios, aber Silver ist auch als Pianist einen weiten Weg gegangen seit damals. Der Kracher des Albums ist natürlich „Sister Sadie“ – Ira Gitler in den Liner Notes:

Sister Sadie is from down home. Horace relates that Coltrane, when he heard the group play it in Philly, said to him, „What’s the name of that ‚amen‘ number you’re playing?“

Auch in „Break City“ – der Titel bezieht sich auf die Charleston-artigen Breaks, die die Rhythmusgruppe im Thema spielt – werden die Tugenden dieser eingespielten Band gut hörbar. „Peace“ schafft eine besinnliche, ruhige Stimmung, Blue Mitchell spielt das Thema reduziert und gradaus mit etwas brüchigerem Ton als sonst – wunderbar! Die zweite Version von „Melancholy Mood“ wird im Tempo gespielt, mit gezupftem Bass (die erste war im Rubato mit Teddy Kotick am gestrichenen Bass), für mich eine der schönsten Aufnahmen von Silver!

Über das Quintett schreibt Ira Gitler in seinen Liner Notes:

Horace Silver not only projects a distinct, immediately recognizable talent with his playing but in the way he writes for and guides his group, he again affirmatively expresses his unique personality, In this day of conformity, when many groups are only concerned with „getting a sound,“ often through gimmickry, Silver’s quintet has established their own identity without the aid of spurious devices.
Horace does not merely write beginning and endings for the soloists to fill; he makes his compositions grow by introducing interludes and variations on the opening themes; his ballads have power and yet they are tender: these are some of the reasons that the Silver group does not paint in a monochrome.
Then there is the spirit, the group’s emblem which they wear most boldly on the „swingers.“ „This group has a lot of fire and that’s what I want.“ These words were spoken by leader Silver, one of the fieriest players in jazz. A mild-mannered, sincerely affable young man who dresses with a hip neatness, Horace becomes a perspiring demon when pouring out his musical soul at the piano. I remember Cannonball Adderley, newly arrived in New York, commenting on Horace’s off-stand appearance: „How can a cat look one way and then play so funky?“
To build a harmony of feeling in a group, you must have musicians who really want to play but the spark must come from the leader. Horace has the unflagging zest which acts as a strong unifying force. In referring to the group’s performance level on any given night, he says, „Sometimes we have it, sometimes we don’t… but nobody ever lays down on the job.“

Bei diesem Album kommen bei mir stets die ersten Ermüdungserscheinungen – ist auch heute wieder so. Don Neweys „Without You“ ist zwar eine weitere wunderbare „walking ballad“ (mit sanftem Doubletime vom neuen Drummer Roy Brooks), aber das meiste hier scheint mir „more of the same“ zu sein. Allerdings folgen am Ende eine schöne „amen“-Nummer („Me and My Baby“ – in den Liner Notes wird die Nummer als „one of those groovy, pulsating, black dirt kind of blues for which Silver is most popular“) und dann zum Schluss ein Highlight mit Silvers erster eigener Aufnahme von „Nica’s Dream“, einem seiner grossen Klassiker (er hatte das Stück zuvor schon mit den Jazz Messengers für Columbia sowie mit Kenny Burrell für Blue Note aufgenommen und es gab auch schon Interpretationen auf Alben ohne seine Beteiligung).

Aus Barbara J. Gardners Liner Notes:

Occaionally he will re-record a tune, as he as done here with „Horace-scope“ and „Yeah!,“ because the years, experience and instrumentation changes have wrought new ideas of presentation.
„Record dates are pretty important to me,“ Horace admits. „Once they put it down there, you can’t change it. So it has to be right. I only do two albums a year, and that’s enough. It keeps me scuffling to write that much material and try it out so that it comes off as something to be proud of.“

Im Mai 1961 entstand dann die erste damals erschienen Live-Aufnahme der Gruppe – und um auf Silvers Zitat aus den Gitlers Notes oben zurückzukommen: they had it that night!

Das Album sprüht von Energie, in langen Versionen spielt das Quintett eine Reihe neuer Stücke, sowie „Cool Eyes“ als kurzen Theme-Song am Ende. Hier kommt wieder alles zusammen, Cook bläst ein tolles Solo auf „Filthy McNasty“, die Musik hat Zeit, sich zu entfalten. Die CD enthält zudem ein weiteres neues Silver-Original, „It Ain’t S’posed to Be Like That“, sowie eine lange Version von „Cool Eyes“. Ein kraftvolles Set, das gut rüberkommt und viel Spass macht!

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