Re: Neuschreibung der Bluesgeschichte

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professorrock

Registriert seit: 19.05.2004

Beiträge: 51

Lieber Herr Gockel,

allerbesten Dank für Ihre Antwort, die mich wieder zum Nachdenken, Nachlesen und Nachhören animierte. Mittlerweile habe ich den Wim Wenders-Film gesehen und ich bin überzeugt, Sie hätten ihn in der Kritik zerfetzt.
Ich bin mir immer noch nicht sicher, worum es in Ihrem Artikel wirklich ging.
Wenn Sie anhand der Bücher von Wald & Co neue Aspekte in die Bluesgeschichte einbringen wollten, dann war das Thema verfehlt. (Aber das hatten sie ja mit dem „Augen-Zwinker-Ton ja ausgeschlossen). Denn alles was Wald & Co behaupten, wurde vorher auch schon beschrieben, sowohl von Schwarzen als auch Weißen.
Wenn es Ihnen darum ging die Erforschung, Tradierung und Umdeutung des Blues bei weißen Kritikern, Musikern und Publikum zu kritisieren, bleiben bei mir einige Zweifel bestehen. Es drängt sich die Frage auf, was eine nicht-existenzialistische Betrachtung ist, wie man den Country-Blues nicht „weich zeichnet“, und die Saga entmystifiziert.
Die konsequente Fortsetzung Ihres Gedankens kann ja nicht sein: Weiße dürfen über schwarze populäre Musik nicht schreiben. Oder auch: Weiße dürfen nicht zu schwarzem Beat rappen.
Ich fand den Gedanken gut, „Je akuter das Fehlen einer Identität, je nichtssagender die eigene Existenz…“. Aber das Suchen nach Inspirierendem aus anderen Kulturkreisen hat ja eine lange Tradition, nicht nur in der Popmusik und ist im Grunde auch nicht zu verurteilen. Und um auf die weißen britischen Mittelstandskinder, die sich für den Country-Blues interessierten (wenn ich Sie korrigieren darf: die meisten kamen aus proletarischen Schichten) zurückzukommen: Was sollten Sie denn tun, in einer Zeit, die politisch geprägt war vom Niedergang des Britischen Empire und der gleichzeitigen Propagierung einer klassenlosen Konsumgesellschaft“. Deren kulturelle und moralische Normen so stark zementiert waren, dass die Jugendlichen im staatlichen Rundfunk so gut wie keine Popmusik hören konnten und Blues wie Rock ‚n’ Roll nur über Piratensender oder von Schallplatten, die Seeleute mitbrachten, gehört werden konnten. Und die sich darüber hinaus im Generationskonflikt mit Eltern und Lehrern befanden. Sollten sie sich mit der abendländischen Musiktradition, mit den englischen und schottischen Balladen beschäftigen? Im Gegensatz dazu finde ich interessant, dass sich amerikanische Collage-Studenten mit europäisch geprägter Volksmusik und deren Verwandlungen auf amerikanischem Boden beschäftigten und nicht mit dem Blues. Aber dafür gibt es eine Erklärung, die ich bei Thiessen fand: „Für die weißen amerikanischen Musiker war die Distanz zum Blues zu groß. Blues authentisch zu spielen, lernten sie von den englischen R&B-Bands. Ein Grund dafür scheint einleuchtend. Soziologisch wird der weiße Jugendliche in einer Gesellschaft der Rassendiskriminierung sich selbst immer als Privilegierter wahrnehmen. Selbst dann, wenn das falsches Bewusstsein ist und er selbst Proletarier, ist das System des Rassismus ja nicht zuletzt auf diese Wirkung gerichtet…Er pflegt das kulturelle Erbe des kolonialisierten Volkes, als der Kolonisator mit dem schlechten Gewissen.“ Diese „Berührungsängste“ brauchten die jungen Bluesmusiker um Alexis Korner z.B. nicht zu befürchten. Sie suchten eben das „exotische“ oder auch das „schockierende“ bis bewusst provozierende. Da kam ihnen die Kulturangebote Amerikas (ob Film oder Rock ‚n’ Roll) gerade recht. Dann kann man den Jugendlichen, die sich für die schwarze Bluesmusik interessierten doch keinen Vorwurf machen. Natürlich ist es dann auch, dass sich jemand mit diesem Thema theoretisch auseinandersetzt. Dass es bei einigen zu einer Ideologie auswuchs und dass Plattenfirmen und Promoter auch das kommerzielle Geschäft witterten und die Bluesmusiker von Festival zu Festival schleppten, wissen Sie so gut wie ich. Aber es wurde ein Anfang gesetzt, diese kulturellen Leistungen schwarzer Volksmusik auszugraben und bekannt zu machen. Was auch immer Clapton und andere daraus machten, sie waren „Botschafter einer fremden Musik“
Dem Country-Blues braucht man kein existenzialistisches Mäntelchen umzuhängen. Er durchschritt alle Grenzbereiche. Er kannte den Tod, angefangen von der Versklavung bis hin zu den Lynchmorden noch im vergangenen Jahrhundert. Er kannte den Kampf um Nahrung, Obdach, Arbeit, Liebe und Frauen. Er kannte das Leiden – das gesellschaftliche ebenso wie das durch persönliche Schicksalsschläge bestimmte, das Leiden der Liebe, der Sucht …usw. Und er kannte die Schuld. Das hinderte ihn natürlich nicht, davon in den Kneipen, Spelunken, bei Parties, an den Straßenecken, in den Kirchen oder Aufnahmestudios zu sprechen. Das hinderte ihn auch nicht daran, damit Geld und Unterhalt zu verdienen, Aufmerksamkeit zu erregen, oder einfach mit Freunden Spaß zu haben. Dies und seine musikalischen Ausdrucksmittel, die ebenso bedeutend sind, haben nachhaltige Wirkungen auf die populäre Musik gehabt – egal ob von Schwarzen oder Weißen beschrieben.

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