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otisIrgendwann habe ich mal ganz ergebnisoffen hier gefragt, wie es denn sein könne, dass junge Leute an Blonde On Blonde etwas gut finden könnten. Hat mir noch keiner so recht beantwortet. Neue Frage: Warum gerade Sgt. Pepper?
Dann probier ich mal ’ne Antwort.
Sgt. Pepper ist purer Pop: Überwiegend leichte Kindermelodien zum Mitsingen, teils zum Mitschunkeln, eingebettet in kleisternde Streicher, schmeichelnde Klänge, reine Unterhaltungslieder, die offenkundig auch nichts anderes wollen: Tangerine Trees and Marmelade Skies eben. Der einzige Song mit etwas Tiefenanspruch kommt ganz am Ende. Auch A day in the life hat aber nichts wirklich Geheimnisvolles, die Tiefe ist nicht elitär: Da muss man noch nicht schwimmen, die Füße erreichen den Boden.
Warum ist Pop erfolgreich? Das funktioniert offensichtlich auf Basis ziemlich breiter und daher üblicherweise recht kleiner Nenner. Und natürlich ist da Sgt. Pepper zunächst für jeden, der dem glänzenden Schein verfallen ist, eine Messlatte, weil es in der Perfektion mit den zu der Zeit neuesten und teuersten Studiotechniken das erste war: First Mover vor dem Hintergrund der damals größten und reichsten Band der Welt mit aller denkbaren Unterstützung – daher auch die Frustration eines Brian Wilson. Das war für ihn alleine trotz Beach Boys nicht erreichbar, den Status hatten sie nicht.
Für mich ist Sgt. Pepper fast nur noch sozio- und musikhistorisch interessant, nur gelegentlich vielleicht noch arrangement-technisch und wegen mancher Kompositionskniffe, die die Beatles deutlich von vielen anderen Zeitgenossen abheben, u.a. auch von den Stones, denen gegenüber sie beispielsweise kompositorisch ungleich facettenreicher sind (was sich aber aber weiß Gott nicht nur auf Sgt. Pepper findet). Wer aber diese Art Pop mag, warum sollte der nicht zum Original greifen statt zu den Hunderten und Tausenden von Epigonen und Nachmachern? Auch nach Strauß wird sich heute noch im Walzertakt gedreht.
Blonde on Blonde ist dagegen was für die Nerds und Abweichler, die es in jeder Generation gibt (Daher ist übrigens die Kritiker-Liebe dafür auch nicht verwunderlich, Schreiber waren schon immer etwas merkwürdig). Ungeschliffen, rauer Sound, abgefahrene Lyrik, man könnte es in heutiger Sprache amerikanischen Folk-Punk nennen. Abseitige Erfahrungen, merkwürdige Texte und Bilder, für junge Leute aller Altersklassen mit Erfahrungshunger. Ich mag zwar Dylans Gesang nicht, was mir schon immer den emotionalen Zugang zu seiner Musik verbaut hat, aber das Album und auch die beiden Vorläufer sind großartig. Und natürlich historisch genauso interessant wie Sgt. Pepper, aber wie jede gute Lyrik hat es eine stärkere zeitlose Komponente. Da ist eine Tiefe, die über die Zeiten hinweg Identifikation ermöglicht.
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