Re: Velvet Underground

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go1
Gang of One

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(Da der Thread zum ersten Album geschlossen wurde, poste ich mal hier.)

The Velvet Underground & Nico, zusammen mit den anderen Alben der Band, ist der Anfang, die Wurzel von Artschool-Punk und New Wave, von Indierock und dem, was man früher mal (in den frühen 90ern) als „Alternative“ bezeichnet hat; die Inspiration für so viele andere Künstler. Davon redet das berühmte Eno-Zitat. Dieses Album ist die Bibel, Mann! Es kann vieles lehren, unter anderem dies: Zuerst kommen die Ideen, die Technik kommt später! Das ist Kunst, keine Mucke. Mo Tucker vorzuwerfen, dass sie nicht spielen könne, wie es hier andernorts geschrieben wurde, ist einfach albern. Klar ist sie kein Chad Wackerman (beispielsweise), sie macht eben etwas ganz anderes; ihr primitivistisches Getrommel trägt dazu bei, den VU-Sound zu definieren. Man muss das nicht mögen, man muss das ganze Album nicht mögen (man muss überhaupt nichts mögen), aber wenn man sein Missfallen als ästhetisches Urteil ausspricht, sollte man sich überlegen, ob die eigenen Kriterien zu der Sache passen, die man beurteilt. Hier geht es nicht um Virtuosität oder filigranes Spiel; Monotonie, Wiederholung und Lärm werden bewusst als Stilmittel eingesetzt usw.

Natürlich hört man sich das Album nicht deshalb an, weil es bedeutend ist (deswegen respektiert man es bloß), man hört es wegen der Schönheit, die man hier finden kann, wenn man Ohren dafür hat, und wegen der Atmosphäre, die aus den Boxen dringt. Man findet hier urbane Paranoia („Watch out, the world’s behind you“), verpackt in eine süße Melodie, die Abhängigkeit des Junkies von seinem Dealer, seinen Rückzug von der Welt, die existentielle Müdigkeit, die Heilung im Schmerz sucht, dazu die melancholische Schönheit des Goth-Vorläufers „All tomorrow’s Parties“, die schöne Einfachheit von „I’ll be your Mirror“… ach, man findet so vieles! Soviel Coolness, wie man überhaupt nur aushalten kann. Um es kurz zu machen: * * * * *

Wer sich’s mit mir verscherzen will, braucht einfach nur schlecht über dieses Album zu reden.

„Heroin“ ist seit Jahren mein Lieblingstrack überhaupt, meine ewige Nr. 1 (für eine Nr. 2 habe ich mich noch nicht entschieden, vielleicht wäre das ja „Venus in Furs“…). Ich habe ihn zuerst auf dem Soundtrack zum Doors-Film gehört, da kannte ich The Velvet Underground noch gar nicht (oder nur dem Namen nach, aus Rowohlts Rock-Lexikon). Boy, it blew my mind! Dieser Track, speziell der unglaubliche Noise-Ausbruch am Höhepunkt, brutzelte meine Ganglien, öffnete meine Ohren, rüttelte meine „Hörgewohnheiten“ durch. Ohne ihn hätte ich kurz darauf mit Sonic Youth nichts anfangen können. Wenn ich heute sagen kann, „I dig repetition„, habe ich das ebenfalls VU zu verdanken. Der beste Drogensong aller Zeiten? Wenn er gerade läuft, klingt er jedenfalls so für mich. Schön und traurig und einfach unglaublich.

Ach ja, zu diesem kleinen Ausbruch hat mich dieser Beitrag hier provoziert:

Music-Proffessor
Von einschlägigen Medien und Fachleuten zu einer der wichtigsten Platte der Pop-Musik erkoren: Velvet Underground, verstärkt um Nico, die Sängerin (hier als Chanteuse vermerkt). Nur: Was hat Andy Warhol, der Erfinder des 15-Minuten-Ruhms damit zu tun? Hat er sich diese Musik ausgedacht, diese etwas halbgare Mischung aus PsychedelicFolkRock, Dilettantismus und unmotivierten Gitarren-Soli? Was am schmerzlichsten vermißt wird, ist das Schlagzeug: Maureen Tucker’s Geklopfe und Tambourine-Geschlage kann man bestenfalls als Schlagwerk bezeichnen. Nico’s Gesang ist oft am Ton vorbei, genau wie manche Gitarren-Riffs, gar nicht zu reden von dieser aufdringlich wirkenden Viola (John Cale). Kann sein, daß es in den Sechzigern ein Schlag ins Gesicht derjenigen war, die sich um Musik bemühten, deren Bestreben es war, möglichst hörbar zu klingen, während Velvet Underground genau das eben nicht wollten oder vielleicht auch gar nicht konnten. Dazu geht mir das aber alles nicht weit genug. Geschrammel bleibt Geschrammel, und weite Strecken wirken angestrengt und aufgesetzt. Gewöhnen kann man sich mit Müh und Not an „All Tomorrow’s Parties“ oder „Venus In Furs“. Unerträglich dagegen „Heroin“ mit seiner Endlosigkeit und der gewollten Steigerung, oder das sinnlos quietschige „Black Angel’s Death Song“ genauso wie die Gitarren-Schrammel-Improvisation „European Son“: Hingerotzter Schrott, schlimmer als so manches Krautrock-Zeug. Kann ich schlichtweg nicht leiden. *1/2

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To Hell with Poverty