Re: Roland Emmerich

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skraggy

Registriert seit: 08.01.2003

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Ok, dann wage ich mal eine kurze Bewertung. Über den Realismus des Films ist ja an anderen Stellen bereits viel geschrieben worden. Sicherlich gibt es einige Sequenzen, die aufgrund ihres Inhalts (Stichwort: Flucht vor „Gefrierbrand“) zum Schmunzeln anregen, doch sollte man die Qualität des Films nicht daran messen. The Day After Tomorrow will trotz seiner zweifelsfrei vorhandenen Botschaft in erster Linie unterhalten und der Streifen funktioniert als Unterhaltungsfilm ganz hervorragend. Zwar hat Emmerich teilweise mit den für Katastrophenfilmen typischen diversen Handlungsbögen zu kämpfen, erfreulicherweise spart er dafür jedoch einige mir verhasste Katastrophenfilmklischees (bspw. Typen, die aus Selbstüberschätzung, Arroganz etc. tödliche Dummheiten begehen) aus. Die eben angeführten diversen Handlungsstränge haben natürlich zur Folge, dass eine tiefere Charakterzeichnung der Protagonisten ausbleibt, doch ist dies ja auch nicht das Ziel eines Katastrophenfilms, bei dem es ja eher darum geht, Sympathieträger extremen Situationen auszusetzen und zu schildern, wie sie diese meistern. An den darstellerischen Leistungen aller Beteiligter habe ich nichts auszusetzen. Kein theatralisches Overacting, kein mimischer Minimalismus. Alles recht glaubhaft. Überhaupt ist der Film für Emmerichs Verhältnisse relativ ruhig. Überraschenderweise gelingen ihm auch leise Szenen und den von ihm in „ID4“ und „Der Patriot“ so geschätzten Pathos konnte ich auch nicht entdecken.
Ebenfalls überraschend verkommen die größtenteils wirklich beeindruckenden Effekte nicht zum reinen Selbstzweck und werden dramaturgisch und atmosphärisch sinnvoll eingesetzt.
Ich reche es gerade Emmerich hoch an, dass er für dieses Film auf ein all zu versöhnliches Ende verzichtet hat. Die nördliche Halbkugel wird zu einem gigantischen Eisklumpen. Basta! Einen vollständig negativen Schluss konnte Emmerich sich allerdings nicht aus den Rippen leiern. Am Ende versprüht der Film einen klitzekleinen Hauch von „sodersturmistvorbeiweitergehts“. Das ist auch der einzige Kritikpunkt, den ich anbringen kann. Dem Film gelingt es trotz aller Flutwellen, Eisstürme und Tornados nicht, das Ausmaß einer solchen globalen Katastrophe zu verdeutlichen. Vielleicht liegt es an der begrenzten Anzahl von Schauplätzen oder der fast völligen Abstinenz von Angaben über Todesopfer, keine Ahnung.
Unabhängig davon, dass ich den Film für wirklich gut halte, hätte er seinen Weg in meine 2004er Film-Top-10 ohnehin gefunden. Für die Sequenz, in der Hundertausende US-Amerikaner vor der verschlossenen Grenze nach Mexiko stehen und voller Panik die Zäune einreißen, um „illegal einzuwandern“, möchte ich Emmerich mal kräftig auf die Schulter klopfen. Schön!

Ok, lange Rede kurzer Sinn. Da TDAT für mich der erste Big-Budget-Film des Jahres ist, der hält, was er verspricht, vergebe ich im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte und ohne die Absicht, den Film zum Klassiker zu küren, dicke ****1/2. Es ist wirklich lange her, dass ich nach solch einem Film das Kino verlassen habe, ohne mich zu ärgern.

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