Re: SIDO

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sido

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nettes jahresabschlussinterview mit unserm paul:

Wie viel Wut gibt es in den Vorstädten?
Der Berliner Rapper Sido, 25, hat sich als Kenner und Sprecher der deutschen Problembezirke profiliert. Als Ende Oktober die Krawalle in Paris ausbrachen, wurde er zum gefragten Experten

DIE ZEIT: Als in Paris die Vorstädte brannten, haben viele Sie gefragt, was da los ist. Inzwischen wollen Sie nicht mehr über die Krawalle reden – warum?
Sido: Weil die Zeitungen über mich nicht die Wahrheit gesagt haben. Ich habe denen von mir erzählt, vom Ghetto und von meiner Reise nach Paris – und dann haben die Saftblätter darüber geschrieben, als hätte ich selbst dort Steine geworfen. Ich passe jetzt besser auf, und wenn ich mit den Medien rumhänge, dann suche ich mir die seriösen raus – die, die ich selbst nie lesen würde.
ZEIT: Was lesen Sie denn?
Sido: Keine Tageszeitung. Ich schaue fern.
ZEIT: Was für ein Land sehen Sie da im Fernsehen?
Sido: Ich sehe dieses Talkshow-Deutschland, und das amüsiert mich total. Die Leute, die da erzählen, dass sie sieben Jahre Alkoholiker waren und seit drei Wochen trocken, aber dann kam diese Frau, und da sind sie wieder aus der Bahn geraten… das entertaint mich. Ich meine das nicht hämisch. Die Leute, die da sitzen, fühlen sich ja wohl. Die sind so. Dieses Talkshow-Deutschland ist die Wahrheit.
ZEIT: Ist Deutschland Ihr Land?
Sido: Klar, ich bin doch kein Punker. Aber dass es mein Land ist, habe ich erst gemerkt, als ich letztes Jahr so viel im Ausland war. Da habe ich kapiert: Anderswo ist es noch viel schlimmer. Bei uns kann jeder, der sich nicht hängen lässt, was aus seinem Leben machen.
ZEIT: Angela Merkel wäre stolz auf Sie.
Sido: Hör mal, das war mein politisches Jahr. Ich war sogar im Bundestag, bei Monika Griefahn. Ich meine, ich war in ihrem Büro, geht es noch viel politischer?
ZEIT: Wie war’s denn?
Sido: Im Grunde nicht so toll. Ich hab ihr meine Meinung gesagt, sie hat mir ihre Meinung gesagt. Es ging um meine Songs, ich wurde für viele Sachen kritisiert, mit denen ich nichts zu tun hatte. Zu dem Zeitpunkt war kein Song von mir auf dem Index. Griefahn hat gesagt, ich solle mehr Verantwortung übernehmen – aber ich spiele doch nicht Eltern für die Kids. Ich bin 25, diese Rolle maße ich mir nicht an.
ZEIT: Aber Ihre Musik hat Bedeutung für die Jugendlichen.
Sido: Ich bin nur der Spiegel der Jugend. Nicht ich habe das Ghetto gemacht, das Ghetto hat mich gemacht. Ich verstehe die Probleme dort. Im Märkischen Viertel in Berlin, wo ich herkomme, leben die Menschen, die keine Chancen haben. Ich lebe da nicht mehr, aber ich fühle mich dort wohl, ich kenne jeden.
ZEIT: Sie nennen das selbst Ghetto.
Sido: Dort leben all die Alkoholiker, die Arbeitslosen und die 16-jährigen Mütter. Dann bauen sie uns ein Einkaufszentrum hin, damit wir da klauen und nicht am Ku’damm.
ZEIT: Gibt es dort unter den Jugendlichen eine Wut wie in Frankreich?
Sido: Keine Wut, kein Hass, keine Resignation. Die meisten haben gar keinen Kopf für Politik. Die denken nur, ich brauche Geld, wie komme ich an Geld? Denen ist egal, warum Mama weint, die wissen nur, dass Mama weint. Und dass sie Geld besorgen müssen, damit sie nicht mehr weint.
ZEIT: Sie sagen, Sie sind ein Spiegel – für ein anderes Land?
Sido: Es gibt doch zwei Deutschlands. Die Reichen ziehen über die Armen her und umgekehrt. Ich bin der Buhmann für alle im anderen Deutschland. Aber im anderen Deutschland, da lieben sie mich. Und wenn sie dich da lieben, dann lieben sie dich krass.
ZEIT: Was lieben die an Ihnen?
Sido: Dass ich ehrlich bin. Ich bin einer von ihnen und sage die Wahrheit. Das ist selten. Die Wahrheit tut weh.
ZEIT: Wer ist Ihr Held 2005?
Sido: Auf jeden Fall Gerhard Schröder. Nicht nur, weil er gegen den Krieg war. Er ist mein Held, weil er so einen glanzvollen Abgang hingelegt hat. Vor allem in der Wahlrunde im Fernsehen – am Ende konnte er endlich mal die Wahrheit sagen. Respekt!

Das Gespräch führte Georg Diez

(c) DIE ZEIT 21.12.2005 Nr.52

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