Re: Psychotic Waltz

#2006707  | PERMALINK

dr-nihil

Registriert seit: 08.07.2002

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War ja noch ein bisschen was schuldig. Bin ich immer noch, aber als Anfang:

Psychotic Waltz – Into the Everflow
Der Nachfolger

Groß und sphärisch das Keyboard am Anfang. Traumhaft schön daraufhin die unverzerrten Klänge der Gitarre. Und dann die Drums marschartig mächtige Power-Chords einleitend. Stolz und erhaben beginnt „Into the Everflow“, der 1992 erschienene Nachfolger von „A Social Grace“. Das 90er Debüt von Psychotic Waltz war ein Meisterwerk. Ungestüm und wahnsinnig, zugleich voller cleverer Ideen und schlichtweg magischer Momente. Der Metal war Metal durch und durch und der Prog wirkte zu keinem Zeitpunkt aufgesetzt, vielmehr schien er spontan, im Moment der Aufnahme entstanden zu sein. Vielleicht liegt es auch zum großen Teil daran, dass „Into the Everflow“ eben das „Album danach“ war, aber die Musik auf dem Werk wirkt bewusster, konstruierter. Zweifellos kannten Psychotic Waltz ihre Stärken. Doch schlimm ist das keineswes, denn die Band spielte sie ganz famos aus. Also ja, ein sehr gelungener Nachfolger.

Nach knapp dreieinhalb Minuten Intro geht dann der Opener „Ashes“ auch richtig los. Und sofort ist man wieder weg. Völlig weltentrückt die Band und ihr scheinbar abwesender Sänger Buddy Lackey. „Into the Everflow“ ist noch viel weniger bodenständig als „A Social Grace“. Man nähert sich Pink Floyd an. Die Musik von Songs wie „Ashes“ oder dem Titeltrack ist ein Gleiten, ein Schweben durch den Raum. Losgelöst. Man findet nirgendwo halt. Aber das ist nicht das Konzept des Albums. Wie der Vorgänger – und da wären wir bei der großen Stärke der Band – ist das Album ein irrsinniges Wechselbad. Nach „Ashes“ kommt „Out of Mind“ und reißt den Hörer aus seinen Träumen. Ein wahres Riff-Feuerwerk fackeln da Dan Rock und Brian McAlpin ab. Die Wege, welche diese beiden Meister ihres Faches mit ihren Gitarren einschlagen, sind nicht nachvollziehbar und ergeben doch immer wieder Sinn. Lackeys Gesang, der immer noch einer merkwürdigen Lethargie zu entspringen scheint, steht ganz im Gegensatz zur mitreißenden Gitarrenarbeit. Doch dann die plötzliche Erlösung im Refrain. Lackey erwacht, Psychotic Waltz bilden für einen kurzen Augenblick eine Einheit: „Out of sight not out of mind.“
Das ist allerdings noch gar nichts gegen das folgende „Tiny Streams“. Leicht stampfende Gitarren, die Vocals oberfies. Dann einer dieser typischen ruhigen, leicht psychedelischen Momente, in denen man sich bei Psychotic Waltz jedoch nie zurücklehnen sollte. Und so auch hier. Es folgt ein Part, der fast zum Moshen einlädt. Daraufhin werden die Gitarren endgültig freigelassen. Rock und McAlpin spielen sich in Ekstase, bis sie letztendlich doch noch von Lackey eingefangen werden und man schwer und bombastisch das Stück zu Ende bringt. Unwiderstehlich. Genauso „Freakshow“, die Metamorphose eines äußerst aggressiven Tracks in einen so harmonischen, fast gemütlichen („But I can see the garden in my head / All is well…) und dann wieder zurück in das Wütendste, was man von der Band je zu hören bekam („Here I do not belong“).
„Into the Everflow“ ist ein ganz schwieriger Brocken innovativer und gleichzeitig traditioneller Metalmusik. Das Album ist eine Herausforderung. Nicht, weil der Musik besonder schwer zu folgen ist oder sie so außergewöhnlich „progressiv“ ist, nein, weil man sich als Hörer nie sicher fühlen kann. Es ist ein Album der Unruhe, unmöglich kann man sich darin geborgen fühlen. Man weiß nie, was als nächstes geschieht. Eine Ausnahme bildet dabei jedoch der Song „Hanging on a String“. Ein eher seichtes Stück, das eingängigste von Psychotic Waltz überhaupt. Schön ist es nichtsdestotrotz dank einer erneuten Glanzleistung Buddy Lackeys, aber es ist ein Fremdkörper auf dem Album. Das trifft auch auf die textlichen Zitate (es werden The Doors, The Beatles, Jimi Hendrix und Jethro Tull zitiert) im letzten Track des Albums zu. Diese geben „Butterfly“ eine weltliche Note, obwohl sich die Musik längst wieder in jenseitige Sphären erhoben hat. Doch angesichts des Beginns und des noch schöneren Schluss´ des Songs will man eigentlich alles verzeihen: „Close to the ground brings no further the Sky / I am the butterfly.“
****1/2

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