Re: Lars von Trier

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sonic-juice
Moderator

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Ich deute das hier jetzt mal großzügig als allgemeinen LvT-Thread.

Aus der heutigen FAZ (gilt zugleich auch als TV-Tipp: Kabel 1 um 22.05):

Leben und Sterben im OP
Stephen King und Lars von Trier operieren im „Kingdom Hospital“ auf Kabel Eins

Wo das Übernatürliche gefilmt wird, sieht die Kamera zwangsläufig mehr, als sie versteht. Denn das Übernatürliche ist etwas wesenhaft Unmodernes, die Kamera hingegen ein modernes Auge. Wen sie mag und wen nicht, das weiß sie, auch umgeben vom Unheimlichen, trotzdem: Otto (zum Quietschen: Julian Richings), den Chef der Kliniksicherheit zum Beispiel, kann sie leiden, weil er immer dann, wenn sie ihn neugierig anguckt, komplett überfordert durch seine mauerdicken Brillengläser zurückstarrt und sich, was immer dabei im einzelnen herauskommt, jedenfalls die allergrößte Mühe gibt, die Leute per Gegensprechanlage miteinander zu verbinden, die Übersicht zu wahren und das Ärgste zu verhindern. Den Neurologen Dr. Stegman (zum Fürchten: Bruce Davison) dagegen, eitel, rechthaberisch, stur und lieblos, kann die Linse auf den Tod nicht ausstehen und zeigt uns deshalb seine bleiche Haut, seine Spinnenfinger, seine trockenen Lippen, sein sandiges Haar und seinen unruhigen Blick, während er sich für den nächsten Wutanfall aufpumpt – kein Detail bleibt uns erspart, damit wir Abstand von ihm halten.

Das neuzeitliche Krankenhaus, auf dessen Korridoren, in dessen Operationssälen und Fahrstühlen die Serie „Kingdom Hospital“ spielt, zu deren tragendem Personal der drollige Otto und der widerliche Dr. Stegman gehören, ist eine schwere Herausforderung an die Künstler des Unheimlichen: Zu proper, zu gut ausgeleuchtet, zu rational verwaltet und betrieben, verwahrt es die Schicksale der ihm Anvertrauten, als daß viel Platz für Spuk und Wunder bliebe. Die spezifische, schwer moralische Süße, die in allen Geschichten von akutem physischem Schmerz oder chronischem organischem Leiden steckt, frißt außerdem den Reißzahn der Gruselgeschichte mit einer Abart metaphorischer Karies an, vor der Horrorkünstler auf der Hut sein sollten.

Als Stephen King, der größte Horrorkünstler unserer Zeit, sich 1997 in Colorado aufhielt, um dort eine neue, skrupulös werkgetreue Fernsehverfilmung seines zuvor von Stanley Kubrick zwar stellenweise erleuchtet, aber ingesamt eben auch sehr eigenwillig und ohne Respekt vor der Vorlage verfilmten Romans „The Shining“ zu beaufsichtigen, sprang ihn die Herausforderung „Klinik“ von einem Fernsehschirm aus an. Auf dem nämlich schaute er sich damals Lars von Triers dänische Serie „Riget“ an, die wir auf deutsch unter dem Titel „Geister“ kennen (es gibt zwei Teile, von 1994 und 1997).

Fast nichts ist an dieser Stelle gegen „Riget“ zu sagen, nur eins: Diese Veranstaltung war maßlos unökonomisch gedacht. Denn wenn man schon unbedingt eine lose Aneinanderreihung okkulter sight gags und bedeutungsschwangerer Lichtorgelfugen erleben will, kann man genausogut zwei Flaschen Aldi-Rotwein verputzen und sich anschließend zum Phantasieren in einen dicken Teppich wickeln.

Das ungewöhnlich Tugendhafte an Stephen King, der natürlich niemals ein böses Wort über von Trier verlieren würde, ist seine Arbeitsmoral und der nie verzagende Wagemut, mit dem er das Wesentliche aus jedem inspirierten Qualster herauspräpariert, der ihm unter die Finger kommt, stamme dieser nun aus dem Jenseits oder aus Dänemark. Im Kino hat er damit nicht immer Glück gehabt – die „Kinder des Zorns“- und „Rasenmäher-Mann“-Filme sind in einem ganz anderen als dem von King intendierten Sinn grauenhaft, und auch sein Regiedebüt „Maximum Overdrive“(1986) muß man nicht gesehen haben. Aber was er und das Fernsehen bislang miteinander angestellt haben, ist bis auf zwei Ausnahmen gut bis ausgezeichnet geraten – die Ausnahmen sind die fahrige „Es“-Miniserie und die von King verfaßte „Akte X“-Folge, welche weder im Kontext seines eigenen Schaffens noch als Beitrag zur visionären Arbeit des Serienschöpfers Chris Carter allzuviel taugt. Spätestens an den beiden nicht als Adaptionen literarischer Quellen, sondern direkt fürs Fernsehen geschriebenen Mehrteilern „Sturm des Jahrhunderts“ (1999) und „Haus der Verdammnis“ (2002) jedoch hätte Literaturkundlern und Cultural-Studies-Fachleuten auffallen dürfen, daß King unter allen Gegenwartsschriftstellern derjenige ist, der das stilsicherste Händchen für wirkungsvolle Wechselbefruchtungen zwischen Text und Teledrama besitzt.

Für „Kingdom Hospital“ hat er Lars von Triers Gußform vor allem an drei entscheidenden Stellen merklich verbessert: Erstens gibt es bei King eine Brennpunktfigur, einen Sympathieträger, den wir von Anfang bis Ende begleiten, nämlich den erfolgreichen und vermögenden Künstler Peter Rickman (zum Mitleiden: Jack Coleman), der am Ort des unheimlich Übernatürlichen eingeliefert wird, weil er einen auf autobiographischen Motiven aus Kings leidvoller Erfahrung basierenden schweren Unfall erlitten hat. Zweitens gibt es einen Helden, den aufgeräumten, lustigen und tapferen Neurochirurgen Dr. Hook (zum Knuddeln: Andrew McCarthy). Und drittens ergibt das Ganze, anders als bei der gefällig surrealen schwarzen Posse des Originals, am Ende, das heißt nach dreizehn Folgen und fünfzehn Stunden rätselhafter, schauerlicher, mitunter sogar spaßiger Vorkommnisse, tatsächlich einen Sinn. Denn Stephen King glaubt daran, daß Geschichtenerzähler auch dann an die aristotelischen Verpflichtungen ihres Handwerks gebunden bleiben, wenn sie zwanzig Semester kritische Bildwissenschaften im Kopf mit sich herumtragen und pro Drehtag sechshundertsechsundsechzig total abgedrehte Spontaneinfälle haben.

Beim in Zusammenarbeit mit dem Autor und Produzenten Richard Dooling erstellten „Riget“-Remix läuft deshalb alles nach dem ehrwürdigen Theatergesetz ab, daß man im ersten Akt nur dann ein Gewehr an der Wand hängen lassen darf, wenn man das damit Versprochene vor dem Ende des Stückes durch einen Schuß einlöst: Die Parkplatzprobleme des Doktors Stegman, der ständig abwesende Hausmeister, der unterirdische Spielzeugfriedhof des Dr. Hook – alles, was wir sehen, führt zum schlüssigen Ende. Selbst der Ameisenbär aus dem Schattenreich entpuppt sich als einleuchtender ägyptologischer Lesefehler eines Kindes.

Man streue über diese Kreation noch ein paar Streusel Anspielungen und Insider-Witze – der Indianer mit dem Mop, der an den Häuptling aus „Einer flog übers Kuckucksnest“ erinnert, ein Gastaufritt von William B. Davis, dem diabolischen Raucher aus „Akte X“ – und fertig ist die prächtige, mehrstöckige Spannungstorte. Daß diese Show außerdem, wie sonst nur noch „24“, mit von langer Hand geplantem, stets Kontinuität und Kohärenz wahrendem Produktionsdesign beeindruckt und davon profitieren darf, daß man das amerikanische Serienprinzip eines „Pools“ von Regisseuren auf Kings Drängen fallengelassen und durch die einheitliche Vision von Craig R. Baxley ersetzt hat, schafft Raum für das, was King am besten kann und auch in seiner Prosa mit schöner Regelmäßigkeit anbietet: ein Ende, das die verschiedenen Handlungsstränge gerade genug abschließt, um das Empfinden von etwas schlüssig Wahrem zuzulassen, aber das Türchen zugleich weit genug offenläßt, um eine Fortsetzung zu suggerieren, von der man spürt, daß sie eigentlich nicht gesendet werden kann. Sie gehört uns, beim nächsten Arztbesuch. dietmar dath

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