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Um das wieder etwas komplizierter zu machen: „Rockismus“ wird in mehreren Bedeutungen verwendet. Man kann sich eine davon aussuchen oder sie kreativ miteinander kombinieren.
1) Rockismus nach der ältesten bekannten Definition:
Wolfgang Doebeling“Rockism“ war im NME und sukzessive in anderen Pop-Periodika des UK ab Mitte der 70er geläufig. Allerdings nicht als Abgrenzungsvokabular wider Rock an sich, sondern primär als Kennzeichnung für krude Posen, für eindimensional-schlichte Musikrezeption, für lächerliche Überhöhungen, für prinzipielle Popfeindlichkeit.
Kriterien wie eindimensionale Musikrezeption und Popfeindlichkeit tauchen auch in späteren Definitionen wieder auf.
2) Rockismus nach otis:
otisrockism ist, wenn die musik den hörer zum „abrocken“ verführen will. und die musiker alles tun, das zu erreichen.
otisnicht nur das posen, sondern auch das sich anmachen lassen. das ist zweiseitig. der rocker und das publikum gehören zusammen. nur weil der rocker weiß, dass und wie er wirkt, macht er es. nur weil das publikum weiß, dass es abrocken kann, steht es drauf.
es will nicht mehr als das, also gibt der musiker, was es will.
das ist das für mich fatale.
Für otis geht es also um eine Art Dienstleistungsverhältnis zwischen Rockmusikern und Rockpublikum und die Verarmung oder Vereinseitigung der Musik, die daraus folgt.
3) Der Rockist nach soulster:
soulsterein rockist ist ein konservativer, der die köderelemente (vertraute: riffs! egitarrensounds! kopfnick-dickelippen-drums! aller!) seines bevorzugten musikstils für den ausdruck von unbeugsamkeit und individualität unter seinesgleichen hält.
wer es allerdings nötig hat, das feindbild ‚rockist‘ heutzutage noch ernsthaft zu pflegen, ist entweder popgeschichtsfetischist (und spielt einen historischen – ca. achtzigerjahre – kampf nach) oder bewegt sich in den falschen kreisen, wenn er einen solchen leidensdruck verspürt.
Den „Ausdruck von Unbeugsamkeit und Individualität“ kann man unter dem Stichwort „Überhöhungen“ abbuchen.
4) Rockismus nach Herr Rossi:
Herr RossiRockmusik lebt aber häufig (häufig! „häufig“ heißt nicht „immer“!) von dem Versprechen der Musiker und von der Fanerwartung, dass hier etwas „Echtes“ und „Authentisches“ geboten wird, im Gegensatz etwa zu Pop, der künstlich, steril und „kalkuliert“ sei. Genau diese Behauptung, Rock sei in Ausübung seiner Klischees höherwertiger als andere Musik, bezeichnet man als „Rockismus“. Der Begriff soll weder Rock an sich noch Bühnenshows noch Fanbegeisterung diskreditieren.
Rock soll besser sein als andere Musik, obwohl es im Rock doch genauso von Klischees wimmelt wie in anderen Genres. Bestimmte Klischees werden einfach gegenüber anderen bevorzugt.
5) Rockismus/Rockist nach Kelefa Sanneh:
Kelefa SannehA rockist isn’t just someone who loves rock ’n‘ roll, who goes on and on about Bruce Springsteen, who champions ragged-voiced singer-songwriters no one has ever heard of. A rockist is someone who reduces rock ’n‘ roll to a caricature, then uses that caricature as a weapon. Rockism means idolizing the authentic old legend (or underground hero) while mocking the latest pop star; lionizing punk while barely tolerating disco; loving the live show and hating the music video; extolling the growling performer while hating the lip-syncher. (…)
Like rock ’n‘ roll itself, rockism is full of contradictions: it could mean loving the Strokes (a scruffy guitar band!) or hating them (image-conscious poseurs!) or ignoring them entirely (since everyone knows that music isn’t as good as it used to be). But it almost certainly means disdaining not just Ms. Simpson but also Christina Aguilera and Usher and most of the rest of them, grousing about a pop landscape dominated by big-budget spectacles and high-concept photo shoots, reminiscing about a time when the charts were packed with people who had something to say, and meant it, even if that time never actually existed. If this sounds like you, then take a long look in the mirror: you might be a rockist.
New York Times – October 31, 2004 – The Rap Against Rockism – By KELEFA SANNEH
Dieser Artikel aus der New York Times war im englischsprachigen Raum recht einflussreich. Die Popfeindlichkeit ist hier zentral. Allgemeiner formuliert ist die Definition, die ich oben zitiert habe:
6) Rockismus nach Erick Bieritz:
Erick BieritzRockism is an approach to music that uses the values of one genre as an unquestioned set of rules and then judges other music by those values. The normative genre has historically been rock, where modern popular music criticism grew up, and for better or worse the name has stuck.
Ich habe das so erläutert (in Bezug auf Rockmusik):
Go1Nach diesem besonderen Verständnis des Ausdrucks geht es bei „Rockismus“ nicht um Posen, sondern um die Werte, nach denen Musik und Performance beurteilt werden. Der Rockist hat seine Kriterien oder Idealvorstellungen anhand seiner bevorzugten Rockmusiker gewonnen und schlägt auch alle anderen Arten von Popmusik über diesen Leisten. Er misst sie an seinen Kriterien, denen sie natürlich nicht entsprechen, und wertet sie aufgrund dessen ab. So kommt auch die Überzeugung zustande, „gute Rockmusik“ sei per se wertvoller als der Pop von Beyoncé, Justin Timberlake oder Lady Gaga.
Für den Rockisten ist „Rockmusik der Maßstab aller Dinge“, wie Mikko sagt.
Wenn man diese Definition auf sämtliche Genres bzw. Hörer verallgemeinert (wie die Formulierung von Bieritz es nahelegt), kommt bichos Begriffsbestimmung eines „Rockisten“ dabei heraus:
bichoSo wie ich den Begriff verstehe, zeichnen sich Rockisten vor allem dadurch aus, dass sie ein bestimmtes Genre (muss natürlich nicht Rock sein) bevorzugen und die Musik aus anderen Richtungen an dessen Standards messen. Außerdem vertreten sie die Meinung, dass bestimmte Musiker oder Genres objektiv besser sind als andere.
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To Hell with Poverty