Re: Rockisten aller Länder vereinigt Euch

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Gang of One

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@mikko: Man kann aus allem „etwas“ machen, aber woraus man etwas machen muss, das ist das Entscheidende. Die Ungleichheit von Möglichkeiten, am kulturellen Leben teilzuhaben, ist doch keine Frage von Alles oder Nichts; und die Rede von der „Eigenverantwortung“ dient in der Regel dazu, denen, die es schwerer haben, aus ihrer Lage einen Vorwurf zu drechseln. Daran sollten wir uns nicht beteiligen. (Außerdem ging es mir darum, den Vorwurf des „Dünkels“ abzuweisen, und nicht darum, irgendjemanden zu entschuldigen.)

Wenn die Kunst der Entspannung am Feierabend dienen muss, dann ist zwar noch Platz für Wilco (The Album) oder The Greatest, aber die sperrigeren Werke fallen aus dem Zugriff heraus, und das ist doch schade.

nail75Wie in dem an Mikko geschriebenen Beitrag würde ich hier widersprechen, da ich der Auffassung bin, dass Du hier gewisse Eigenschaften dem Kunstgenuss vorschaltest – und ich bin mir schlichtweg nicht sicher, dass das wirklich so ist. Natürlich kann und sollte man diese Fähigkeiten entwickeln, aber ich würde sie nicht als „Voraussetzung“ bezeichnen. Ob sich der Widerspruch bei einer genaueren Diskussion auflösen würde, weiß ich nicht.

Du musst aufnahmefähig sein für das jeweilige Kunstwerk. Jeder bringt immer schon Erwartungen und Vorerfahrungen mit; es ist eine Illusion zu glauben, man könne sich einem Kunstwerk unmittelbar, voraussetzungslos nähern. Es gibt immer Voraussetzungen – und seien es nur solche, die jeder Mensch schon in der Kindheit erworben hat. Für die Kunst von Aliens hätten wir kein Organ; damit könnte kein Mensch etwas anfangen. Die eigenen Fähigkeiten entwickeln sich anhand der Dinge, die man vor die Sinne bekommt. Sie entwickeln sich weiter, je mehr Möglichkeiten man hat, sich mit interessanten Dingen zu beschäftigen. Und jede Erfahrung, die man schon gemacht hat, beeinflusst dann, wie man die nächsten Kunstwerke aufnimmt (das hat bullschuetz gut beschrieben).

Und dann kommt eben zu all dem noch hinzu, dass manche Kunstwerke oder Genres voraussetzungsreicher sind als andere.

nail75Nur um das klarzustellen: Ich habe Dir in keinem Wort unterstellt, Du würdest Ungebildete verachten.

Du nicht. Andere aber schon.

nail75Ich sehe die Gesellschaft nicht als Kampf aller gegen aller, der Mensch ist ebenso zu Kooperation fähig wie zur Konfrontation. (…) Ja, man kann Menschen emanzipieren, das geht durchaus, wie wir immer wieder erleben. Aber die Menschen müssen es wollen!

Mir ist schleierhaft, wieso Du glaubst, Deine Ausführungen seien ein Einwand gegen mich. Was Du da sagst, sind Selbstverständlichkeiten – ich habe nie in meinem Leben etwas Anderes behauptet. Doch, halt, einen Dissens haben wir: Ich glaube nicht daran, dass man Menschen emanzipieren kann, außer in einem rechtlichen Sinne. Aus dem Elend erlösen können wir uns nur selbst. Es hat noch nie eine „Emanzipation von oben“ gegeben, die ihren Namen verdient hätte.
(Edit: Oder wolltest Du mir sagen, dass alles, was jetzt so ist, auch immer so sein muss? Dem würde ich allerdings widersprechen! Und um es nochmal klarzustellen: Ich bestreite doch nicht, dass die Menschen verschieden sind, um Himmels Willen; ich bestreite, dass alle die gleichen Möglichkeiten haben, ihre Fähigkeiten zu entwickeln und ihren Interessen nachzugehen.)

Ich rede auch nicht von „der Gesellschaft“ und „dem Menschen“, sondern von unserer eigenen bürgerlichen Gesellschaft mit ihrer allumfassenden Konkurrenz auf den Kapital-, Waren- und Arbeitsmärkten, einer Welt voller Haifischbecken. Schon an den Schulen findet eine aufreibende Konkurrenz um Anerkennung statt. Das Kulturleben ist davon infiziert. Dünkel und Verachtung sind weit verbreitet. Eben deshalb sind die Leute schnell dabei, dir so etwas zu unterstellen.

Wenn Du es wissenschaftlich bestätigt bekommen möchtest, wieviel Missgunst und Feindseligkeit in dieser Welt im Schwange sind, könnte z.B. die Reihe Deutsche Zustände im Suhrkamp-Verlag für Dich von Interesse sein. Sie stellt die Längsschnittstudie zur „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ des Soziologenteams um Wilhelm Heitmeyer von der Uni Bielefeld dar, die jetzt zehn Jahre gelaufen ist. Aktuell und empfehlenswert ist Band 9, im Dezember erscheint der abschließende Band 10 (ausgewählte Ergebnisse aus früheren Jahren, etwa bis Band 6, findet man mit etwas Suchen auch im Netz).

Von mir aus können wir das aber auch auf sich beruhen lassen – mit „Rockismus“ hat es ja schon lange nichts mehr zu tun.

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To Hell with Poverty