Startseite › Foren › Kulturgut › Das musikalische Philosophicum › Rockisten aller Länder vereinigt Euch › Re: Rockisten aller Länder vereinigt Euch
wernerIch kann dir schon sagen, warum mich dein „Argument“ nicht überzeugt: Weil sowohl du als auch Go1 vom größtmöglichen Dummkopf ausgeht, der nur in der Lage ist, gut oder scheisse zu sagen. Und das ist nicht mein Menschenbild. Und Leute, die von der Prämisse ausgehen, halte ich in der Tat für überheblich.
Das ist nur eine böswillige Unterstellung. Ich habe gar kein „Menschenbild“. Ich begegne ab und zu Leuten, die sich so aufführen wie Du in diesem Thread, und deren Gehabe geht mir auf die Nerven. Das ist alles.
nail75Ich störe mich auch an Go1s Aussage, so wie sie da steht und finde auch Deine Variation nur marginal besser. Sie suggeriert doch die Existenz einer Grundvoraussetzung von Kunstgenuss, nämlich die (bürgerliche) Bildung. Ich verstehe, was Go1 aussagen will, empfinde die Formulierung aber als mehr als unglücklich. Auch wenn der Widerspruch von werner gerne zehn Stufen weniger aggressiv und polemisch ausfallen dürfte, im Grunde trifft er den Kern des Problems von Go1s Aussage: Wenn ich von einem bürgerlichen Kunstverständnis rede, dann erwecke ich automatisch den Eindruck der Exklusivität, auch wenn das gar nicht beabsichtigt ist. Ich würde daher anders an die Sache herangehen: Erst war das Interesse, der Wille zur Beschäftigung mit Kunst, dann die Bildung und Erfahrung.
Ich denke, der Dissens ist nur scheinbar und hängt am Wörtchen „Bildung“. Voraussetzung des Kunstgenusses ist die Fähigkeit dazu, die eigene Wahrnehmungsfähigkeit und Sensibilität, das eigene Beurteilungs- und Genussvermögen. Diese Fähigkeiten muss man erst entwickeln, und sie entwickeln sich weiter, je mehr man sich mit Kunst beschäftigt – das ist die Bildung, von der ich rede. Die ist an sich nicht „bürgerlich“. Bürgerlich (im Sinne von: aus dem 18. und 19. Jahrhundert überkommen) ist mein Verständnis davon, was Kunst ist (und was Bildung ist). Ich habe ja nichts Originelles oder Besonderes geschrieben – das kann man daran merken, dass bullschuetz exakt dasselbe geschrieben hat, was ich auch gesagt hätte (ich hätte es nicht besser ausdrücken können). Das Fussball-Beispiel ist hilfreich, um klarzustellen, worum es wirklich geht.
„Wenn Du die Kunst genießen willst, musst Du ein künstlerisch gebildeter Mensch sein“ – das versteht sich eigentlich von selbst. Missverständlich ist es nur, weil so viele beim Stichwort „Bildung“ gleich an Schule und Hochschule denken (obwohl es an den Unis immer weniger Raum für Bildung gibt). Dass Bildung mit Exklusivität (also dem Ausschluss von vielen) assoziiert wird, dafür kann ich nichts; das liegt an der Organisation des sogenannten „Bildungswesens“.
Ein Problem gibt es aber noch: Wenn man an die Bildungsvoraussetzungen des Kunstgenusses (im umfassenden Sinne verstanden) erinnert, wird einem gleich unterstellt, man würde die „Ungebildeten“ verachten. Auch das ist nicht meine Schuld. Wir leben in einer Gesellschaft, in der ein Kampf aller gegen alle tobt, die Konkurrenz, in der Dünkel und Verachtung zum Alltag gehören. Dadurch wird das Wort „Bildung“ auch moralisch aufgeladen. Aber wenn man feststellt, dass viele Leute ihre Urteils- und Genussfähigkeiten nicht entwickelt haben und kaum entwickeln können – weil sie z.B. in einem geisttötenden Fabrikjob oder Bürojob gefangen sind, der ihnen die Lebenskraft raubt, und ihre Freizeit sich darauf beschränkt, ihre Arbeitskraft zu reproduzieren, damit sie am nächsten Tag wieder antanzen können (wofür die Berieselung durch den Fernseher ein passendes Mittel ist); wenn man das feststellt, dann ist das doch kein Vorwurf an die Leute. Es ist eine Kritik an der Gesellschaft, die einem Teil ihrer Mitglieder nur solche Jobs anbietet. Man verachtet nicht diejenigen, die sich nicht bilden, sondern kritisiert, dass die Gesellschaft es nicht allen gleichermaßen ermöglicht, ihre Fähigkeiten und Potenziale zu entwickeln, ihre produktiven ebenso wie ihre Genussfähigkeiten. Man kritisiert, dass die freie Entfaltung der einen, ihre Reichtümer und Genüsse, auf Kosten anderer gehen – derjenigen, die ihre Lebenskraft im Dienst an fremdem Reichtum, in entfremdeter Arbeit verbrauchen; und Verachtung empfindet man nur für diejenigen, die solche Verhältnisse rechtfertigen.
--
To Hell with Poverty