Re: Jean-Luc Godard

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Paar Zeilen, zunächst zu phryx: Das Zuschauer-Argument verstehe ich nicht wirklich – sicher spielen die eine enorme Rolle für die Präsenz der Filme, aber genau das ist doch der Fehler. Mal abgesehen von den idyllischen Zuständen in gypsy’s town wird Godard inzwischen nur noch im Fernsehen geliefert – im Dezember ist es wieder soweit –, wunderlich, da er das Fernsehen permanent kritisiert. Wunderlich nicht die Kritik, sondern wunderlich, dass da dann doch einige Redakteure noch sitzen müssen, die einen Godard-Film um 1 Uhr morgens durchsetzen können. – Auch würde ich den späten Godard durchaus nicht vom frühen trennen wollen, ich sehe da nichts als Verdichtung, die schon halsbrecherisch ist, und das schätze ich sehr. Na ja, und dass es Spielberge und Cameronen gibt – so ist es, und ihre beloved spectators sind eben auch so. Ist doch das Übliche. Und dann auch gefragt: warum nur drei Filme, die er gegeben hat? Godard, habe ich mir irgendwann vorgesagt, zeigt auch, dass Aufzählungen weder ästhetisch und folglich auch sozial keinen Sinn machen.

Deshalb auch, vigo und vega, hole ich noch einmal den alten Schmarren hervor: Ab der Kunstbaumgrenze ist ohnehin alles strahlend öde. Es gibt nichts zu unterscheiden. Ich habe »Maria und Joseph« als einen der rührenderen Filme in Erinnerung, darum aber nicht minder befriedigend. Bei einigen Regisseuren kommt mir einfach nicht in den Sinn, um es so zu sagen, eine Einschätzung en détail zu geben. (Gypsy, ich meine die Ethos-Punkte im Jazz.) Dazu zählt auch Bergman – auch so ein Arbeiter im Bergwerk des Herrn. Was soll man da, außer aus einer Laune heraus, kritisieren? Nebenbei, vega, kennst Du Bergmans Schubert-(Fernseh-) Film »Dabei: Ein Clown«?)

Und ja, rock ’n‘ roll, (De-) Codierungen sind da überall – ich würde es zwar schlichter formulieren: Geschichten sind tückisch. Das Kino hinkt da einige Jahrzehnte der Literatur hinterher, warum auch nicht, die mussten erst einmal die Bilder ordnen (und das haben sie in den Stummfilmen enthusiastisch getan, und die Neuerer heute wissen nicht einmal mehr, wen sie abkupfern). Woran erinnern wir uns bei einer Geschichte? An irgendein Bild – sagt Godard, die Geschichte spielt keine Rolle, es ist das Bild, die Erinnerung ist dort, nicht im Erzählen. (Klar, gewöhnlich wird das Bild in die Geschichte übersetzt. »Ach, als ich damals … und dann … und dann …)

Tolomoquinkolom, ich sehe nicht, dass Godard ein Tausendsassa (was ist das überhaupt?) sei – das würde ich wenn überhaupt einem Mann wie Wenders oder Antinioni attestieren, also Tausendsassa, das trifft es für mich nicht. Ich nehme an, darauf kam es Dir auch nicht an, sondern auf Antonioni, ihn irgendwie herauszustellen? – Abseits davon, kann ich nicht die geringste Verbindung zu Rohmer sehen – der Geschichten erzählt und das ja wohl will (und weil er es will, gefällt er mir auch manchmal – aber, wenn ich entscheiden müsste, das ginge flux. Godard gehört da nicht hin.)

Aber er war da. Die ganze Cahiers du cinéma-Geschichte. Rohmer, Rivette, Truffaut, Godard und wen es sonst noch gab: sie haben sich alle auf ihre Weise entfernt. Habe gerade nur das zu Godard und Truffaut parat, gypsy, tippe es einmal hin (Godard, Einführung in eine wahre Geschichte des Kinos, S. 86f.):

»Le Mépris kann keine Vorstellung vom Kino geben, es kann, jedenfalls habe ich das versucht, eine Vorstellung von Leuten im Kino geben, und das finde ich weniger unehrlich als eben zum Beispiel den Film von Truffaut, der den Leuten zu sagen versucht: So läuft es beim Film. Und die Leute verstehen zwar nichts von alledem, aber sie sind zufrieden, in ihrer Vorstellung bestärkt worden zu sein, daß man davon sowieso nichts verstehen kann und daß es eben so läuft. Während, wie der Film »La Nuit Américaine« entstanden ist, gar nicht so gelaufen ist. [Jaja, die Übersetzung ist schlecht.] Ich habe mich endgültig mit Truffaut überworfen – einmal wegen einer Geldgeschichte, aber als ich ihn an die Geldgeschichte erinnerte, die es zwischen uns gab, habe ich ihm auch gesagt, daß ich seinen letzten Film gesehen hätte und daß eine Einstellung darin fehlte, nämlich die, wie ich ihn während der Dreharbeiten am Arm von Jacqueline Bisset in ein Pariser Restaurant habe hereinkommen sehen. So wie er den Film gemacht hat, wäre das wohl das wenigste gewesen, weil er den Film nämlich nur deshalb gemacht hat. Die Einstellungen von ihm mit Jacqueline Bisset fehlen ganz in dem Film, während er sich nicht gescheut hat, Geschichten mit anderen Leuten zu erfinden.
Er hat mir nicht geantwortet. Wir reden nicht mehr miteinander. Aber es ist eben kein Zufall, dass »La Nuit Américaine« dann irgendwann den Oscar für den besten ausländischen Film bekommen hat, er ist eben ein typischer amerikanischer Film. »La Nuit Américaine« ist ein technischer Terminus, für einen Trick. Die Amerikaner filmen Nachtszenen oft am hellichten Tag, mit einem Filter, der den Himmel dann tiefblau erscheinen läßt – das nennt man »la Nuit Américaine« – statt daß man nachts dreht. Es ist ein technischer Vorgang. Aber ich denke, man hat diesen Film auch ausgezeichnet, weil er so gut verdeckt, gerade weil er so tut, als decke er etwas auf, was das Kino sein kann, etwas Magisches, das einem völlig über den Horizont geht und zugleich eine Menge angenehmer und unangenehmer Leute anzieht. Woraus folgt, daß die Leute gleichzeitig zufrieden sind, daß sie nicht dazugehören, und doch nichts lieber tun als regelmäßig fünf Dollar auszugeben, um einen Film zu sehen.«

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