Re: Musikalisches Tagebuch

#1627529  | PERMALINK

Anonym
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IrrlichtIch bin noch nichtmal der allergrößte Fan des Albums, aber neige dazu praktisch jedem Satz widersprechen zu wollen und kann kaum glauben, dass ein musikalisch geschultes Ohr sowas ohne Ironie runterschreiben kann.

Dieses „Abstraktion und Reflektion“-Argument führst du ja gerne ins Feld, auch schon bei Portishead und ich finde das in erster Linie sehr arrogant. Und dann traut sich natürlich auch wieder keiner die Wahrheit einzusehen! Es ist in Ordnung, wenn Du ein Landschaftsbild von den Vogesen abstrakten Gemälden vorziehst, aber ich sehe keinen Grund, warum Kunst, die einer Reflektion erst bedarf, schlechter sein sollte. Unmittelbare Rührung ist oft eben auch auf genau diesen Effekt gezielt – seicht, manipulativ, stets an den rechten Rädchen gedreht, aber inhaltlich eben doch leer und leblos. Das kann man reflektieren.

Die Bananenplatte ist alles andere als ein Kritikeralbum (und selbst wenn, sind Kritiker auch gute Hörer), das hast Du ja eingeräumt. Für mich ist es ein Werk, das eindrucksvoll vorführt, mit wie wenigen und dezenten Mitteln Stimmungen vermittelt werden können, ganz zarte, ganz verstörende, vor allem sehr wahrhaftige. Kein Rausch wurde so intensiv vertont wie „Heroin“, kaum ein Track ist so direkt ins Herz gehend wie „Sunday morning“, kaum eine Stimme klingt in ihrer Mischung aus Brüchtigkeit und Fühlbarkeit so aufrichtig wie die von Nico (und im Grunde auch die von Lou Reed). Ja, Schiefe, Dissonanz, vermeintliches Wirrwarr, Krach, Dreck, Songzerschlag – das kann auch herausragende Musik ausmachen. Das sind keine Virtuosen und keine begnadeten Sänger, ich wöllte dieses Album aber auch mit diesem Ansatz überhaupt nicht hören. Ich habe keine Lust auf noch eine gründlich nachbearbeitete, aalglatte, ranschmeißerische, akkurat produzierte, ganz hinreißend ebenbödig eingesungene Platte, am besten noch mit entsprechend angepasstem Coverartwork, das so edel und dezent für die Augen gestaltet ist, dass man es gleich in die Vitrine zum Goldranddackelbild stellen kann. Musik fürs Mausoleum.

:bier: Schön geschrieben und vor allen Dingen richtig. Ich liebe diese Platte seit über vierzig Jahren! Und das nicht wegen irgendwelcher Kritiker oder eines wie auch immer gestalteten Kanons.

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