Re: Musikalisches Tagebuch

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herr-rossi
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Sokrates
Gerade diese Woche bin ich in Frantzens „Freiheit“ über einen Satz gestolpert, der hier passt. Da sagt eine der Hauptpersonen, Richard, der coole Sänger einer erfolglosen, aber bei der Kritik angesagten Indie-Rock-Band, Musik sei für viele Fans ein Mittel, sich eine Identität zu geben, sich von anderen abzugrenzen, selbst cool zu sein. Abstrakt gesagt: Die Wahl von Musik als Imagefaktor und Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe.

Das kann man z.B.auch in Musik suchen. Mir dagegen kommt es auf die sinnliche Erfahrung des Hörens und der emotionalen Auswirkung des Gehörten an. „Let It Be“ hatte ich länger nicht aufgelegt, aber es hat mich wieder ungewöhnlich stark bewegt. Das würde für Komposition und Interpretation sprechen.

Hast Du den Eindruck, ich wäre so ein „Indie“-Hipster? Dass ich Musik ablehne, weil sie populär ist? Ich verleugne meine wahren Gefühle, wenn ich behaupte, dass mir „Rain“ mehr gibt als „Let It Be“?

Es reicht schon, eine B-Seite zu bevorzugen. Gewöhnlich wählen Künstler/Plattenfirma den besseren Song als A-Seite.

Du verkennst, dass Singles in den 60ern eine Bedeutung hatten, die keineswegs geringer war als die der Alben. Im Gegenteil. Eine Gruppe vom Rang der Beatles hat auf B-Seiten keinen Ausschuss veröffentlicht. Die Liste großartiger und klassischer Aufnahmen auf B-Seiten der 60er ist lang. Häufig genug machten Radio-DJs sie auch zum Hit. In den Billobard-Hot 100 hat man sie einzeln gewertet, wenn sie eben im Radio und in Jukeboxes populär genug waren. Es gibt keinen Grund, „Rain“ für obskur zu halten, weil es eine B-Seite ist. Dass Singles für Dich persönlich keine Rolle spielen, ist Deine persönliche Sichtweise, aber eben auch nicht mehr.

Und schon geht Format vor Musik. :-) Ober berührt dich das Keyboard stärker als das Gitarrensolo? Ich finde die Gitarre hier ausdrucksstärker. Sie ist – gerade für Beatles-Verhältnisse – geradezu schneidend gespielt, was einen reizvollen Kontrast zum Klavier in der Begleitung erzeugt.

Sorry, ich könnte Dir genauso formatabhängige Präferenzen unterstellen:. Eine Single-B-Seite ist demnach per se schlechter als eine A-Seite und ein Singles-Track natürlich schlechter als ein Albumtrack. Ja, ich bevorzuge die Version mit der Orgel. Man wird sich ja auch was dabei gedacht haben, diese Version als Single zu veröffentlichen und nicht den obskuren Albumtrack.;-)

Deine Begeisterung für „Let It Be“ würde ich Dir nie nehmen wollen, ich finde es nur seltsam, anderen, die es nicht so hören, zu unterstellen, sie würden es nur aus bestimmten Motivationen tun, die nichts mit dem Song/Track an sich zu tun hätten. Mich beginnt der Song jedenfalls gerade nach mehreren Durchgängen zu langweilen. Der einzige wirklich große, berührende Track auf dem Album ist für mich übrigens „Across The Universe“. Und nein, ich habe auch keine Paul-Phobie …

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