Re: Musikalisches Tagebuch

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nail75

Registriert seit: 16.10.2006

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IrrlichtJa, war wieder lohnenswert, das Wiederhören. Allerdings werden die Differenzen auf jeden weiteren Durchgang größer. Während letztere irgendwann womöglich noch die höchste Stufe auf der Bewertungsskala erreicht, bin ich bei ersterer geneigt eher auf *** 1/2 abzurunden, stimmungstechnisch definitiv nicht meine Tasse Tee.

Klar, die stilistischen Unterschiede sind sehr groß. „Highway 61“ ist ein Album, das aus Sarkasmus, Gehässigkeit, die sich bis zur Verachtung steigert und aus seiner latenten Aggressivität lebt. Natürlich hat es auch ruhigere, reflektive Momente. Aber inhaltlich sind beide Alben gar nicht unähnlich, beide werden dominiert von Liedern über enttäuschte Liebe bzw. fehlgeschlagene Beziehungen, die aber eben unterschiedlich verarbeitet werden. Auf Highway 61 eher im Sinne von „Angriff ist die beste Verteidigung“ (wobei auch noch Verachtung für gesellschaftliche Personen und Strukturen hinzukommen (Ballad Of A Thin Man), einschließlich Desolation Row, wo Dylan als spöttischer Beobachter das surreale Szenario einer durchgeknallten Welt entwirft) und auf Blood eher durch Trauer, Depression und Rückzug.

Wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Beatles nur ganz wenige Jahre mit ganz simplen Liebesliedern die Musikwelt revolutioniert hatten, dann wird der Bruch, den Dylan auf Highway 61 vollzieht, um so bemerkenswerter. Er trägt seine Wut, seine Verbitterung und seine Verachtung so gewalttätig nach außen, wie es bis dahin in der populären Musik vollkommen unüblich war. Natürlich kannte man auch vorher schon Lieder über enttäuschte Liebe, aber niemals wurden sie mit solcher brutalen Offenheit nach außen getragen und auf diese Weise vorgetragen. Harte Anklagen war man von Dylan gewohnt, aber diesmal wurden sie musikalisch untermauert. Ein atemberaubendes, radikales Werk.

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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.