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Noch ein Hinweis auf eine Besprechung heute in der taz:
zwischen den Rillen
Tonnen von Songs
Ryan Adams schreibt nach jeder Trennung ein Album: Nun legt der US-Songwriter gleich drei vor
Der Mann mag nicht an sich halten. „Tonnen von Songs“, schreibt er, sagt Ryan Adams. Und die wollen an die Öffentlichkeit. Als er von New York nach Los Angeles umzog, entstanden vor lauter Aufregung in wenigen Tagen 15 Lieder über die neue Heimat. In Kneipen sitzt er an der Bar und dichtet auf Papierservietten. Hat er mal zwei Tage nichts zu tun, mietet er sich für 1.200 Dollar in ein Studio ein, zahlt mit der Kreditkarte und kommt mit einem Album wieder raus. Erzählt, wie er sich ans Klavier setzt, ein paar Noten spielt, und eine Viertelstunde später ist der Song fertig.
Er hat Nebenprojekte laufen, drei oder vier Bands, für die er Material in Massen verfasst. Seine Auftritte dauern zwei bis drei Stunden. Mit Beth Orton nimmt er an zwei Tagen ein komplettes Album auf, und von seiner ersten Band Whiskeytown soll es noch ein paar Stunden Bänder geben, die mal jemand sichten müsste. Außerdem tippt er Kurzgeschichten in die Schreibmaschine, seit er acht Jahre alt ist, arbeitet an einem Roman, an einem Theaterstück.
Die kreative Inkontinenz nimmt dieser Tage Besorgnis erregende Ausmaße an. Vor nur einem Monat erschienen ein reguläres Album namens „Rock n Roll“ und zusätzlich das Mini-Album „Love is Hell Part 1“, dessen zweiter Teil nun folgt. Insgesamt eine Coverversion, 31 neue Songs und die nächsten dürften schon geschrieben sein. Normalerweise, hat das Wunderkind mal erzählt, sei er sich selbst ungefähr zwei Alben voraus.
Erstaunlich ist allerdings nicht nur der Umfang des artistischen Ausflusses des 28-Jährigen, sondern dessen Qualität. Schon der Alternative Country von Whiskeytown galt den Kritikern als Lieblingskind, auch wenn die Band den unvermeidlich scheinenden Erfolg systematisch mit internen Querelen und rüpelhaftem Verhalten torpedierte.
Das verkaufsfördernde Rebellen-Image hat sich Adams für seine Solokarriere erhalten und so kultiviert, dass es der Vermarktbarkeit nicht mehr im Wege steht. Die freimütigen Alkoholismusgeständnisse und die in schöner Regelmäßigkeit geäußerten Distanzierungen vom Popgeschäft vervollständigen das Bild, ironischerweise gerade weil sie so glaubhaft vorgetragen werden. Selbst der Look des selbst ernannten „Zahnbelag des Alternativ-Country“ scheint mitunter bewusst zerfetzt stilisiert. Dazu passend gerinnen in seinen Songs vornehmlich die Tagebücher eines stets gerade Verlassenen zu Tönen. So gilt seit dem ersten Album unter eigenem Namen, dem gefeierten „Heartbreaker“ von 2000, der mathematische Grundsatz: Jede Trennung ein Album. Und noch das eine oder andere zwischendurch.
Folgt man den Grundrechenarten, wäre „Rock n Roll“ eher ein Zwischenprodukt. Allerdings, so sieht es der Künstler selbst, erfindet sich Adams mit diesem Album neu. Müde sei er gewesen, sein Gefühlsleben zur Belustigung anderer Menschen auszubreiten, hat er die Erkenntnis beschrieben, wie sie ihm während der aufwühlenden Aufnahmen zu „Love Is Hell“ kam. Er beschloss, fortan nicht mehr öffentlich im eigenen Leiden zu wühlen. Oder doch zumindest weniger intensiv. Seitdem, musste er feststellen, ginge es ihm entschieden besser. Musik mache nun plötzlich sogar Spaß. Das muss die Sorte Spaß sein, die man hat, wenn man einen Abend lang die Tasten einer gut sortierten Jukebox bedienen darf.
Während auf „Love is Hell“ der bekannte, allein gelassene Adams sein eigenes Erfolgsrezept in wundervollen, melancholischen, oft sehr reduziert arrangierten Songs noch einmal rekapituliert, singt, spielt, schreibt er sich auf „Rock n Roll“ durch die Geschichte desselben und gibt dazu das Autobiografische weitestgehend auf. Der Eröffnungssong „This Is It“ gemahnt nicht nur im Titel an das Strokes-Debut-Album „Is This It“, das darauf folgende „Shallow“ ist eine schwer stampfende Hymne mit Mitgröhlpotenzial, „Wish You Were Here“ klingt zwar nicht nach Pink Floyd, aber immerhin nach U 2. Das Assoziationsspielchen geht fröhlich weiter: „1974“, „The Drugs not Working“, „Shes Lost Total Control“ oder „So Alive“, und wenn man will, dann kann man tatsächlich die Stooges („1969“), The Verve („The Drugs dont Work“), Joy Division („Shes Lost Control“) oder Pearl Jam („Alive“) heraushören.
Am Ende hat man es auch auf „Rock n Roll“ mit dem Adamschen Prinzip von Überwältigung durch Überangebot zu tun. Unter dessen Einsatz er hier beweist, dass er nicht nur den schwermütigen Trauerbarden und sinnierenden Singer/Songwriter geben kann, sondern ebenso problemlos eben auch den Rocker, der nach Belieben potenzielle Hitsingles schreibt. Er habe wohl schließlich doch noch kapiert, gibt er zu, kein Bob Dylan mehr zu werden und auch keines seiner anderen Idole. Irgendwo zwischen Tom Petty, Bruce Springsteen und Iggy Pop mag eigentlich kein Platz mehr sein, aber Adams ist originär genug, als dass ihm dort ein Sessel in der ersten Reihe freigeräumt werden dürfte. Immerhin hat er sich auf dem Weg in den Mainstream-Rock noch die selbstironische Distanz zum eigenen Schaffen bewahrt. Im Titelsong heißt es: „Everybodys cool playing rock n roll/ I dont feel cool at all.“ Man darf das getrost als Koketterie abtun: Ryan Adams, in welcher Erscheinungsform auch immer, gehört definitiv zum Coolsten, was man sich momentan auf den Plattenteller legen kann.“
THOMAS WINKLER
Ryan Adams: „Rock n Roll“, „Love is Hell Part 1“, „Love is Hell Part 2“ (Lost Higway/Universal)
taz Nr. 7232 vom 12.12.2003, Seite 18, 181 Zeilen (Kommentar), THOMAS WINKLER,
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